piwik no script img

Der Einwegrasierer als Panflöte

■ Die türkische Band „Grup Yorum“ zwischen Konzertsaal und Knast

Von kleinbürgerlichen Intellektuellen, die ihr ideologisches Gift unter das Volk streuen, ist die Rede. Von den Bajonetten der Herrschenden, von den kämpfenden Massen. Von der Prostitution des bürgerlichen Kulturbetriebes. Von verhafteten, gefolterten Kulturarbeitern. Wie in einem ML -Seminar verkündet die Frau ideologisch korrekte Positionen. Aber sie ist keine Schulungsleiterin, sondern Ansagerin in einem Konzert: „Jetzt kommen sie, die Musiker des Volkes. Die Musiker, die vom Gesetz der Soldatenstiefel unterdrückt werden.“

Der Name der Gruppe ist schlicht „Grup Yorum“ - „Gruppe Interpretation“. Doch die Zuhörer sind außer Rand und Band. Parolen werden skandiert: „Leert die Knäste!“, „Freiheit den politischen Gefangenen!“ Über 5.000 Karten waren binnen weniger Tage für das Open-air-Konzert im „historischen Teegarten Besiktas“ verkauft. Grup Yorum kann sich über ihre Fans nicht beklagen. Fackeln werden gezündet. Mit jedem neuen Lied brechen die Zuhörer in Begeisterungsstürme aus. Tausende singen und klatschen mit.

Es ist schwer, einen Gesprächstermin mit der Musikgruppe zu vereinbaren. Der Manager weiß meist auch nicht, wann die Musiker verfügbar - sprich: nicht in Polizeihaft oder Gefängnis - sind. Es empfiehlt sich daher, die Kurzmeldungen der türkischen Tagespresse zu verfolgen, um den günstigen Augenblick zu erwischen: „Grup Yorum in Polizeihaft“, „Grup Yorum im Gefängnis“, „Grup Yorum vor dem Staatssicherheitsgericht“, „Grup Yorum vom Richer auf freien Fuß gesetzt“, „Grup Yorum erneut verhaftet“. Keine Woche vergeht, ohne daß die Politgruppe in Berührung mit der Polizei käme.

Viele der ehemals linken Politsänger in der Türkei haben sich nach dem Militärputsch im September 1980 mit den neuen Verhältnissen abgefunden. Wie lumpige Kleider wurden die alten Songs von einem Tag auf den anderen weggeschmissen. Kulturmenschen sind eben etwas Besonderes. Während die Mitglieder linker Organisationen in den Folterkammern und Knästen des Regimes zu Tausenden gefoltert wurden, begannen „revolutionäre“ Sänger über Maiglöckchen zu singen. Einer, der vor dem Putsch ins Ausland geflüchtet war, Cem Karaca, ging mit den Grünen auf Wahlkampftournee. Schließlich kehrte er in die Türkei zurück, küßte die Hand des türkischen Ministerpräsidenten Özal und bat um Verzeihung für seine politischen Jugendsünden. Ein kluger Mensch erfand das böse klingende türkische Wort „Eylülistler“ - „Septemberisten“. Heute ist das Wort bis in die Kulturseiten der türkischen Zeitungen vorgedrungen.

Grup Yorum eröffnete in der türkischen Musik den Kampf gegen die Septemberisten. „Unser Ziel war, das Schweigen nach 1980 zu brechen, wir wollten anderen Lauten wieder Gehör verschaffen. Wir wollten Künstler des Volkes sein, Künstler, die die Sorgen der Menschen teilen“, sagt Vokalist Efkan Sesen. Sie sangen von den tagtäglichen Leiden der Menschen. Ohne in lehrmeisterliches Getue zu verfallen, besangen sie Folter und Knast ebenso wie Arbeitslosigkeit und Elend. Ihre Kassetten machten Rekordumsätze. Die Konzerte auf den Tourneen kreuz und quer durch Anatolien verzeichneten Rekordziffern.

Ein Dutzend junger Leute - kaum einer älter als 30. Einige wohnen noch bei ihren Eltern. Mit den Linienbussen kommen sie angefahren, um im Kulturzentrum Ortaköy zu proben. „Freunde haben uns einen Brief gebracht, der aus dem Gefängnis Sagmacilar herausgeschmuggelt wurde. Wir versuchen es gerade zu vertonen.“

Grup Yorum fürchtet kein Tabu. Bei einem Konzert der Sozialdemokraten im Istanbuler Stadtteil Kadiköy sangen sie kurdische Lieder. Polizeihaft und Prozeß vor dem Staatssicherheitsgericht folgten. Dann Verhaftung während des Konzerts in Edirne im Februar dieses Jahres (30 Stunden Polizeigewahrsam). Zwei Monate später Konzert in Eskisehir sie geben Fans Autogramme (Verhaftung, drei Tage Polizeihaft). In Samsun, Izmir, Eskisehir, Istanbul und Edirne laufen Ermittlungsverfahren und Prozesse.

„Durch den Griff nach ihren Instrumenten leisteten sie Widerstand gegen die Staatsgewalt“, wird ein Polizeibeamter vor der Strafkammer Mersin aussagen. Die Gruppe war am 9.Juli zu einem Solidaritätskonzert für die Werftarbeiter gereist. Drei Minuten vor Konzertbeginn verbot die Präfektur das Konzert. „Als wir ankamen, trieb die Polizei mit Knüppeln die Zuschauer auseinander. Da ergriffen wir die Instrumente und haben zu singen angefangen“, berichtet die Gruppe. Es wurde ihnen heimgezahlt: Polizeihaft, Strafforderungen von drei Jahren Gefängnis wegen Verstoßes gegen das „Demonstrationsgesetz Nr.2911“. Beweisstücke wie Keyboards, Trommel, Flöte und Gitarre wurden sichergestellt.

Für die Verhöre bei der politischen Polizei wurden ihnen die Augen verbunden. „Wie üblich hierzulande wurden wir gefoltert“, sagt der Lautenist Metin Kahraman. Nachdem er von der Polizeihaft ins Gefängnis eingeliefert wurde, konnte er sich vom Gefängnisarzt Ismet Kortas die Folterspuren attestieren lassen. „Schlagwunden am Kopf“, steht im Gutachten. Unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen begann der Prozeß. Polizei und Soldaten mit Maschinenpistolen sorgten dafür, daß Journalisten erst gar nicht bis zum Gerichtssaal vordringen konnten. 65 Tage ließ man sie im Gefängnis schmoren, bis sie auf freien Fuß gesetzt wurden.

Wie macht man aus einem Einwegrasierer eine Panflöte? Die hafterfahrene Grup Yorum weiß Bescheid. „Du nimmst mehrere Einwegrasierer und trennst die Klingen von dem Plastikstiel. Mit Weizenmehl - Klebstoff gibt es nicht im Gefängnis füllst du die Stiele in unterschiedlicher Höhe aus. Schon hast du eine Panflöte.“ Wie könnte es anders sein, alle Instrumente wurden der Politgruppe im Gefängnis weggenommen. Kam die Gefängnisverwaltung hinter illegale Aktivitäten der Gruppe, wie die Herstellung von Panflöten oder von Schachbrettfiguren aus Weizenmehl, wurden diese sofort durch Beschlagnahmung unterbunden.

Die weiblichen Mitglieder der Gruppe brachten den anderen nichtpolitischen Häftlingen - zumeist Mörderinnen und Prostituierte - Noten bei. Den ärztlichen Jungfräulichkeitstest - eine übliche Praxis in türkischen Polizeiwachen und Gefängnissen - konnten die Frauen abwehren. „Die Wächter, die keinen Ärger haben wollten, formulierten uns einen Text: 'Ich bin Jungfrau. Ich möchte nicht zum Arzt.‘ Wir unterschrieben, und sie ließen uns in Ruhe.“

Kaum war Grup Yorum nach zweimonatiger Haft in Mersin entlassen worden, nahm die Polizei in Istanbul sie am 8. Oktober für drei Tage mit. „Illegale Parolen“ wollen die Beamten auf dem Konzert gehört haben. Ein Rätsel bleibt, woher die Gruppe die Zeit nimmt, neue Stücke zu vertonen und zu proben.

„Unsere Musik ist parteiisch. Wir schweigen nicht zu dem 1. -Mai-Demonstranten Mehmet A. Dalci, den die Polizei erschossen hat, nicht zum Hungerstreik in den Gefängnissen. Wir müssen Widerstand leisten“, sagt einer der Musiker.

Gün ola („Es werde Tag“) soll die neue Kassette heißen. Und wenn die Musiker nicht wieder zur Polizei gependelt sind, wird sie dieser Tage erscheinen.

Ömer Erzeren

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen