: „Noch ist unser Volk nicht besiegt“
■ Der Arafat-Vertraute Abu Scharif hofft auf einen friedlichen Kompromiß mit Israel/ Den Baker-Plan lehnt er kategorisch ab
taz: Sie sind einer der engsten Vertrauten und Berater von PLO-Chef Jassir Arafat. Wo steht das palästinensische Volk heute, nach knapp zwei Jahren Intifada in den besetzten Gebieten und fast ein Jahr nach der Proklaration des Staates Palästina?
Bassam Abu Scharif: Seit dem 15. November 1988 haben 107 Staaten Palästina anerkannt. Nicht mehr die PLO als Organisation, der Staat Palästina hat bei den Vereinten Nationen den Beobachterstatus. Dennoch gibt es eine Anzahl von Ländern, die unseren unabhängigen Staat noch nicht anerkannt haben, vor allem westliche.
Zum Beispiel die Bundesrepublik.
Mit meinem Besuch in Bonn haben wir endlich zu allen Staaten der EG politisch-diplomatische Beziehungen. Wir hoffen, daß die EG nach ihrer überaus wichtigen Erklärung von Madrid (Unterstützung der Internationalen Konferenz mit Beteiligung der PLO, d.Red.) im letzten Juni nun ihren Standpunkt festigt und bis zur Anerkennung des palästinensischen Staates entwickelt. Wir haben während des letzten Jahres einen großen Erfolg für das palästinensische Volk errungen. Und nicht nur das, wir haben durch all diese Schritte auch den Friedensprozeß im ganzen Nahen Osten lebendig gehalten. Wenn unsere Initiative sich so weiterentwickelt, wenn, was wir hoffen, auch die USA den palästinensischen Staat anerkennen, so wird uns letztendlich nur ein einziger Staat die Anerkennung verweigern: Israel.
Gibt es konkrete Ergebnisse Ihres Besuchs in Bonn?
Selbstverständlich. Mein Besuch war keinesfalls reine Formsache. Das Treffen mit Staatssekretär Sudhoff war wichtig. Wir haben offen über die Entwicklung des Friedensprozesses gesprochen, über die Rolle, die die BRD und EG darin übernehmen können, sowie über die notwendige Hilfe für das palästinensische Volk, damit die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konfliktes erhalten werden kann.
Bei allen Erfolgen scheint die PLO im Dialog mit den USA nicht viel weiter gekommen zu sein. Gerade erst hat die PLO den sogenannten Baker-Plan des US-Außenministeriums abgelehnt.
Die von Außenminister Baker vorgebrachten fünf Punkte sind weder eine Initiative noch ein Friedensplan. Sprechen wir von einer Bemühung Bakers, das Gesicht der Israelis zu wahren, die israelische Regierung nach der Ablehnung des Zehn-Punkte-Plans des ägyptischen Präsidenten Mubaraks zu entlasten und erst mal zu sagen: Das ist nicht das Ende aller Tage, auch nicht aller Gespräche. Da wollen die USA offensichtlich eine Konfrontation mit den Israelis vermeiden.
Was erwarten Sie eigentlich von den USA?
Wenn die USA im Nahen Osten eine konstruktive Rolle spielen wollen, dann müssen sie erst mal mit allen beteiligten Parteien gleichberechtigt umgehen. Sie müssen den Palästinensern ihre vollen politischen Rechte zugestehen und die anvisierten Wahlen als einen Schritt im Friedensprozeß verstehen, der letztendlich die israelische Besetzung beendet. Wir erwarten von den USA, daß sie zusammen mit den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates einen konkreten Aktionsplan aufstellen, der die Rechte des palästinensischen Volkes vor terroristischen Übergriffen der Israelis schützt, einen Aktionsplan, der den Rückzug der Israelis und die Übernahme Palästinas durch das palästinensische Volk regelt.
Die Wahlen scheinen den USA extrem wichtig.
Wir akzeptieren Wahlen, ein demokratisches Procedere wie in jeder westlichen Demokratie. Bei diesen Wahlen soll die palästinensische Legislative bestimmt werden. Diese Wahlen sind nur ein Schritt, Teil eines Prozesses. Wir führen Wahlen nicht um ihrer selbst willen durch. Das Volk will seine Repräsentanten bestimmen, die dann den umfassenden Friedensplan vorantreiben sollen. Dieser Plan wird von A bis Z klar dargelegt werden. In der Übergangsphase soll unter internationaler Beobachtung der israelische Abzug in die Wege geleitet werden. Außerdem sollen diese gewählten Repräsentanten für die Durchführung einer internationalen Konferenz sorgen, bei der schließlich und endlich ein Status für Westbank und Gaza ausgehandelt und Frieden mit Israel geschlossen werden soll. Am Ende des gesamten Prozesses, zu dem Wahlen als ein Teil gehören, stehen der Staat Israel und der Staat Palästina. Oder glauben Sie vielleicht, das palästinensische Volk wolle lediglich eine Verhandlungsdelegation wählen, während doch jedes Volk das Recht hat, seine Regierung zu bestimmen? Das kann nicht einmal Schamir verlangen, das ist doch lächerlich. Und überhaupt: Wäre es der israelischen Regierung ernst mit dem Frieden, so würde sie entsprechend ernsthaft mit der ganzen Angelegenheit umgehen. Bislang ist noch nicht ein einziger ernstzunehmender Vorschlag von dieser Regierung gekommen.
Sind die Amerikaner ernst zu nehmen?
Wir versuchen die Amerikaner ernst zu nehmen und sie zu überzeugen, daß es allerhöchste Zeit ist, den Israelis zu bescheiden, sich an den Tisch zu setzen und eine friedliche, politische Vereinbarung zu finden. Sonst nämlich wären die Amerikaner diejenigen, die einer neuerlichen Verbreitung extremistischer Positionen Tür und Tor öffnen.
Wird die Intifada dieses diplomatische Schneckentempo überstehen?
Es gibt keinen Weg zurück. Wir haben beschlossen, der Besatzung zu widerstehen, mit Steinen und mit Stöcken, bis der letzte israelische Soldat die besetzten Gebiete verlassen hat. Unser Volk ist so organisiert, daß die Intifada weitergeht, egal wieviele in Gefängnisse und Straflager gesteckt werden, egal wie faschistoid und brutal die Methoden der Israelis werden. Erinnern Sie sich an den Dezember 1987. Verteidigungsminister Rabin kündigte damals an, der Aufstand werde innerhalb von zwei Wochen zerschlagen. Anfang Dezember werden wir den zweiten Jahrestag der Intifada feiern, und Rabin hat es noch immer nicht geschafft, unser Volk zu besiegen.
Können Sie sich vorstellen, daß der Widerstand sich bewaffnet, je länger und schärfer die Unterdrückung wird?
Genau davon spreche ich. Wer kann von den Palästinensern erwarten, daß sie sich wie Übermenschen verhalten? Nicht mehr auf die Unterdrückung zu reagieren? Was würde ein beliebiger Deutscher tun, wenn sein Kind vor seinen eigenen Augen getötet wird? Was würden Sie von diesem Deutschen erwarten? Was erwarten Sie, wird ein Kind tun, dessen Vater vor seinen Augen umgebracht wird? Die andauernde Disziplin der Palästinenser ist schon legendär. Die Anordnung von Präsident Arafat, keine Waffen zu gebrauchen, ist bislang strikt befolgt worden. Meine Frage ist vielmehr: Wenn die Israelis weiterhin auf Demonstrationen schießen, weiterhin Palästinenser umbringen, wird dann die P LO den Widerstand weiterhin kontrollieren können?
Kommen wir zu Ihrer persönlichen Geschichte. Sie kommen aus der radikalen, panarabischen Studentenbewegung, sind in den siebziger Jahren als Rädelsführer aus der Amerikanischen Universität von Beirut geflogen, waren Vertrauter George Habbaschs und Politbüromitglied der lange Zeit berüchtigten Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). Jetzt sind Sie Vertrauter Arafats und dessen rechte Hand und Speerspitze in heiklen Angelegenheiten. Das sogenannte Abu-Scharif-Papier plädierte Ende 1988 zum ersten Mal öffentlich für die Anerkennung Israels durch die PLO. Wie kommt man zu dieser Entwicklung?
Im Grunde ging es immer um einen Staat, eine Heimat und letztendlich um Frieden. Frieden erreicht man nicht immer ausschließlich mit friedlichen Mitteln. Wir Palästinenser haben immer die Schaffung eines demokratischen Staates anvisiert, in dem beide Völker zusammen in Frieden leben können. Wir haben beschlossen, dafür zu kämpfen. Die Israelis lehnen jede Lösung bis heute ab. Aus der Utopie eines gemeinsamen Staates, in dem Israelis und Palästinenser gleichberechtigt miteinander leben, ist die pragmatische Überzeugung geworden, daß wir Palästinenser unseren eigenen Staat brauchen, solange die Israelis auf ihrem eigenen, ausschließlich jüdischen Staatswesen bestehen. Dennoch muß die Utopie deshalb nicht in Vergessenheit geraten. Wir kümmern uns jetzt um unseren eigenen Staat. Das politische Programm der PLO aus dem Jahre 1974 behandelt diesen Punkt. Dann kam der Vorschlag Breschnews, eine internationale Friedenskonferenz für den Nahen Osten einzuberufen. Die PLO begann, auf diese Konferenz hinzuarbeiten. Die jüngsten Entwicklungen in der Region, die Intifada und die Entspannungspolitik der Supermächte, speziell die Übereinkunft, brennende regionale Konflikte mit politischen Mitteln zu löschen, haben eine erhebliche Rolle gespielt. Das gab auch uns Raum für neues Denken und das hat uns ermöglicht, unsere Ziele und Hoffnungen klar zu benennen. Am 15.November vergangenen Jahres haben wir zum ersten Mal den Gedanken von zwei Staaten in Palästina in unsere Verfassung aufgenommen. Die Zeit ist gekommen. Unser Volk leistet Widerstand mit Mitteln zivilen Ungehorsams, alle sozialen Klassen, alle Sektoren der Gesellschaft, Menschen jeglichen Alters sind mobilisiert und Teil der Intifada. Darauf haben wir hingearbeitet. Daran habe ich teilgehabt.
Glauben Sie, daß die Zeit des bewaffneten antiimperialistischen Kampfes weltweit vorbei ist?
Es gibt weltweit nur noch einen Fall von militärischer Besatzung und militärischer Unterdrückung: Palästina. Und sehen Sie, das ist ein enormer Verdienst unseres Kampfes: Heute sagt wohl jeder, ja, die Palästinenser in Westbank und Gaza leben unter Besatzung, die Besatzung soll ein Ende haben. Man ist sich zwar nicht einig, wie die Besatzung beendet werden soll, aber es gibt niemanden mehr, der sagt, die Besatzung kann weitergehen.
Interview: Petra Groll
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