piwik no script img

Der Umbau hat begonnen

Der Parteiapparat in der CSSR wird durch die Ereignisse in den Nachbarländern verunsichert  ■ K O M M E N T A R E

Noch ist der Funke nicht übergesprungen. Noch drängen sich nicht Hunderttausende auf den Straßen in Prag. Und doch ist in Prag sehr deutlich geworden, daß die Schlacht auf dem Wenzelsplatz eine der Abschiedsvorstellungen des 20 Jahre alten Regimes gewesen ist. Das marode und korrupte System der Breschnewisten in Prag rutscht vom Schild der Macht. Ihre angefaulten Stühle brechen zusammen. Mit einer siegessicheren Gelassenheit diskutiert in Prag das Volk schon offen über morgen.

Es geht nicht um ein Arrangement mit den jetztigen Stützen des Systems. Es geht um ein neues System. Die Tschechen und Slowaken sind in Mitteleuropa die letzten Reformer. Ihr Dornröschenschlaf, verlängert durch Konsum, Ausweisung oder Flucht der Opposition und durch Staatsterror ist beendet. Das Volk rekelt sich. Während die Ausreisewelle die Menschen in der DDR schlagartig das Ausbluten des Staates und seine Gefahr für die eigene Existenz und den eigenen Wohlstand deutlich machte, zudem der Fluchtbewegung etwas Dramatisches anhaftet, gilt in der CSSR solches als Aha-Erlebnis. Und das Getöse der Reformer in den Nachbarländern war laut genug, die Tschechoslowaken zu wecken.

Das Volk Schweijks läßt sich nicht länger von dümmlichen Figuren regieren, deren Erklärungen, wie bei Jakes geschehen, ob ihrer Peinlichkeit in den Medien zurückgehalten werden. Es hat genug und löst nun den nach '68 heimlich geschlossenen Vertrag auf, nach dem das Volk konsumiert und im privaten Leben von der Republik nichts wissen will und im Gegenzug der Staatsapparat regiert wie er will und sich nicht für die Menschen interessiert. Das Volk holt sich die Politik zurück. In den nächsten Tagen und Wochen wird auch in Prag kräftig umgebaut

Florian Bohnsack

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen