: „Tradition spielen, ohne traditionell zu sein“
■ Bob Stewart, prominenter Vertreter des neuen Tuba-Booms im Jazz, war in Bremen
Es ist ein schönes Hotel, in dem der Sender seine Gast -Artisten schlafen legt, eins mit Komfort, Schuhputz -Maschine und einem lichten Innenhof. Hier läßt sich sitzen, Briefe schreiben und Kaffee schlürfen. Hier kann man plaudern, in schöner Ungestörtheit über die schönen Dinge des Lebens, zu denen seit einigen Jahren auch die Tuba gehört.
Die Tuba, jener blecherne Koloss mit dem dicken Klang -Bauch, das Instrument, das vor einigen Jahrzehnten, in den Magazinen der Pfandleiher, auf obskuren Dixie-Jazz -Verballhornungsfesten und in den Bayerischen Bierzelten auf ungezählten Jahrmärkten verschwunden war. Als die Jazz-Bands sich von der Straße verabschiedeten, und als die seinerzeit bahnbrechende Big-Band Fletcher Hendersons mit der Sitte anfing, für die musikalische Kellerarbeit die Männer mit der Bass-Geige zu beschäftigen, war für die Entwicklung der Jazz -Musik eine Entscheidung gefallen: Die Tuba war weg vom Fenster. Und zwar nachhaltig.
Bob Stewart, dieser relaxte und
klare Mittvierziger mit der weißen Strähne in den schwarzen Kräusellocken, sitzt im Innenhof seines Hotels und plaudert über Jazz-Musik, über seinen Werdegang, über die notwendige Geduld und über die Tuba, sein Instrument, das, geknüpft an seinen Namen, in den letzten Jahren wieder zu Prominenz gekommen ist.
Als Stewart 1968 dreiundzwanzigjährig von Philadelphia nach New York kam, da war ihm zwar klar, daß er mit seiner Musik einiges vorhatte und nur New York die richtige Stadt dafür sein konnte, doch war er noch so weit Herr seiner Sinne, daß er sich auf einen längeren Zeitraum einrichtete und nicht auf seinen Job als Musiklehrer verzichtete. „Ich habe immer als Musiklehrer gearbeitet, das ist zwar sehr anstrengend, aber New York ist hart, und wenn du nicht weißt, wo du dein Geld herkriegst, dann kannst du ein, zwei Jahre etwas probieren und dann mußt du weg und niemand fragt danach. Ich bin von der Arbeit gekommen, habe mich eine Stunde hingelegt, und dann konnte ich üben.“
Bis dato hatte er ausschließlich in Dixieland-Kapellen gespielt, denn mangels anderer Instrumental-Tradition gab es keine anderen Möglichkeiten für ihn. In New York traf er auf Howard Johnson, der neben seinen Saxophonen auch Tuba spielte (und spielt, beispielsweise diesen Donnerstag in Bremen als Teil des multi-nationalen Projekts „Pearls of Brass Play Erik Satie“), und der ihm neue Spielmöglichkeiten auf der Tuba zeigte. „Johnson spielte nicht wie ich die Tuba als Bass, sondern als Horn, spielte damit Solos, ließ sie heulen und schreien.“
Von nun an war die Richtung klar: Die musikalische Welt Bob Stewarts war um einen Horizont reicher geworden. Nachdem er sich die neuen Spielmöglichkeiten angeeignet hatte, ging es in erster Linie darum, die Musiker-Kollegen davon zu überzeugen, daß die Tuba, richtig bedient, ein veritables Musikinstrument ist. Denn erst wenn die Musiker an den Musiker und sein Instrument glauben, gibt es Engagements, und erst wenn es Engagements
gibt, kann man anfangen, auch dem Publikum den neuen Klang vorzustellen. Das Publikum ist eben bei der Entwicklung der Musik die trägste Masse.
Die Engagements kamen, schnell, nicht scharenweise, aber stetig. Die ersten Jobs mit McCoy Tyner, mit Carla Bley, mit Charles Mingus. Für Stewart war eine Tendenz spürbar. „Ich habe fünfzehn Jahre gebraucht, bis ich soweit war, davon leben zu können. Du brauchst sehr viel Geduld, Jahre, um dahin zu kommen. Und wenn ich nicht gemerkt hätte, es wird besser, die Jobs rücken näher zusammen, erst ein halbes Jahr, dann ein Viertel und dann jeden Monat, dann hätte ich das nicht durchgehalten.“ Seit sechs Jahren ist er nun so weit, mit seinem Spiel genug zu verdienen, daß er nicht mehr zur Schule gehen muß.
Sein Thema ist die Tradition der Tuba. Er ist begierig darauf, andere Tuba-Spieler zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen. Mittlerweile gibt es auch schon wieder eine ganze Reihe davon, vorwiegende jüngere, vor allem
Europa scheint eine Bastion der Tuba zu sein. (z.B. Andy Grappy, der ebenfalls am Donnerstag in der britischen Mike Westbrook Band die Abbey-Road-Bass-Linien der Beatles austuben wird) So hat er in den letzten Jahre die Bandbreite seines Repertoires erheblich verbreitert. Neben den naheliegenden Einflüssen aus dem Dixie-Jazz tauchen nun Anleihen surinamesischer Musik und vor allem aus der Tradition der „Chapitukas“, zu den Indianern geflohener Sklaven, auf. Dabei geht es ihm nicht darum, irgendeine Musik, zu reproduzieren, sondern sie in dem Zusammenhang mit den avancierten Spielformen neu auszureizen, die traditionellen Formen im Verlauf eines Stückes aufzulösen, die vorgefundene Struktur anzukippeln und sie dann kurz vor dem Umfallpunkt wieder auf die Erde zurückzuholen. „Für mich ist das die wirklich spannende Sache, sich an die Form anzulehnen und die Substanz zu verändern. Ich spiele die Tradition, aber ich spiele sie überhaupt nicht traditionell.“
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