LABEL AN KABEL: GEILES INDIE

■ Promotion und Propaganda auf den Berlin Independent Days

Berlin Independence Days bieten nicht nur Konzerte en masse, sondern sind in erster Linie Messe und Kongreß für die Busineß-Vertreter, wovon die Öffentlichkeit kaum etwas mitbekommt. Auf Podiumsdiskussionen werden marktrelevante Themen von Experten verhackstückt. Der Sonntag sollte etwas Licht in die Dunkelheit des Promotion-Problems bringen mit der entscheidenden Frage: „Wie schaffen wir es, unsere geilen Platten und Bands in die Medien zu kriegen, damit die Leute erfahren, daß es sie gibt und daß sie gut sind?“

Die Bestückung von interessierten und ignoranten Multiplikatoren erfordert einen Haufen Zeit und Geld, was viele kleine Labels nicht aufbringen können: Platten verschicken, Infos drucken, Touren und Interviews organisieren und und und.

Einigkeit herrscht auf dem Podium, das mit Vertretern von Vertriebs-, Promotion- und Plattenfirmen besetzt ist, daß Zusammenarbeit Entlastung bringt, und langfristige Promotion -Strategien für einzelne Bands oder ganze Labels entwickelt werden müssen. So hat das Waltroper Label Big Store um die Plattenfirma herum die Promotion-Gesellschaft NTT aufgebaut, um für die eigenen Produkte optimaler werben zu können und diesen Service auch anderen anzubieten. Daniel Lütkenhaus von Big Store betont sein Konzept der Management-Promotion, in dem versucht wird, nur einzelne Bands gezielt ihren Anforderungen entsprechend zu betreuen. Die etabliertere Firma Public Propaganda setzt dagegen auf Image-Aufbau eines gesamten Labels, denn das garantiert Wiedererkennungswert durch Vertretung einer bestimmten Musikrichtung und eröffnet größere Marktchancen. Public Propaganda schmiedete das Electronic-Body-Music-Kettenhemd für das belgische Label Play it again Sam. Die Großvertriebe wie EfA, Rough Trade oder Semaphore übernehmen, außer für ihre Eigenlabel, kaum Promo-Arbeit, bis auf die Mithilfe bei der Verschickung von Freiexemplaren. So müssen die Hauptlast die Labels tragen.

Wichtige Promotion-Faktoren sind Medienauswahl und Timing. An die effektivsten Multiplikatoren Radio und auflagenstarke Presse ist am schwierigsten heranzukommen. Eine gute Rezension einer LP im Musik Express / Sounds kann die Verkaufszahlen des Werkes um 500 Stück pushen. Kann...

Die Medienlandschaft ist hürdenmäßig gestaffelt: Kleine Fanzines erwecken Interesse bei größeren Zeitschriften, diese dann beim Radio. TV bietet derzeit bis auf die Sendung Off Beat auf Tele5 kaum Möglichkeiten. Und welcher Indie -Fan ist schon verkabelt? So muß die Promo-Arbeit ganz unten anfangen, was das Timing erschwert. Wenn eine Band die neue LP draußen hat, müßten Werbung, Medienarbeit und Tour, um effektiv zu sein, in ein bis zwei Monaten ablaufen, was im immer noch uneinheitlich arbeitenden Independent-Bereich schier unmöglich ist. Überall Stolperstellen, Lösungen sind (noch) nicht in Sicht.

Die Indie-Promoter halten ihr Fan-Ethos hoch, das für überzeugende Arbeit notwendig sei, und setzen auf persönliche Kontakte und kostensparende Vermarktung, um mit der Industrie Schritt zu halten. Propagiert wird ein flächendeckendes Netzwerk von Promotionsfirmen- und -abteilungen, um die Kosten zu drücken.

Sei es Vertrieb oder Promotion, im Independent-Bereich geht die Entwicklung hin zu Zentralisierung und Kooperation mit dem Ziel, Marktfaktor zu werden. Die vor zehn Jahren formulierten Ansprüche aus den Anfängen der „Bewegung“ nach eigenen Kommunikationswegen und neuen Formen unbekannter Musikstile sind abgelegt. Die Strukturen der Major-Konzerne werden repetiert, sicher auch aus der Notwendigkeit heraus, sich gegen sie zu behaupten. Auf die bewußte Abgrenzung von den Majors legt man nicht mehr viel Wert: Die Indie-Promoter arbeiten teilweise mit Großfirmen zusammen, um ihre „exklusiven“ Bands von diesen promoten zu lassen.

Diese Orientierung nach „außen“ geht zum Teil dann auf Kosten echter Kleinlabels mit speziellem Programm wie Twang Tone aus Berlin. Sie sind zwar einem Großvertrieb angeschlossen, können sich aber die Promo-Arbeit nur leisten, wenn ihr Plattenladen Geld dazu abwirft. Bei kleinem Budget und veranschlagter Menge an Freiexemplaren einer LP von 200 bis 300 Stück bei 1.000er Auflage lohnt sich die Plattenproduktion kaum, auch weil die Werbung nicht effektiv genug sein kann. Anstatt sich auch noch den Majors zur Verfügung zu stellen, sollten die Kleinlabels lieber ihre Zusammenarbeit verbessern. Die Frage nach neuen unorthodoxen Promotion-Ideen versandet in dieser Runde aus Promo-Chefs mit der Feststellung, daß auch den Indies nur die von der Industrie genutzten Wege und Formen, heißt Werbung, Rezensionen etc., bleiben.

Vertrackter wird es auf internationaler Ebene oder in einem Staat von der Größe der USA. Die Promotion- und Labelvertreter aus Nordamerika und Kanada sind noch mehr auf Zusammenarbeit angewiesen, um aus regionalen Märkten herauszukommen. Auch dort entwickeln sich Independent Marketing Companies, die staatenübergreifend arbeiten wollen. Das Podium beklagt die Ignoranz der Medien, was neue, interessante Musik angeht, sowie das Desinteresse beim potentiellen Publikum oder Kunden. M. Josephson, Organisator vom New Music Seminar in New York, kalauert, es sei in den USA leichter, Zeitungen über Musik zu verkaufen, als die Musik selbst. Deshalb garantiere Medienpräsenz nicht unbedingt erhöhte Verkaufszahlen. Kleine Labels krebsen beispielsweise in Texas vor sich hin, und viele amerikanische Bands ziehen die Konsequenz und bringen ihre Platten in Europa heraus, wie auf dem Semaphore-Label Resonance. Trotzdem heißt es auch in Europa oft genug: Entweder hat die Band mit der Platte Geld zu machen, oder das Label, oder sie muß von anderen Aktivitäten mit durchgezogen werden.

Schwalbe