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Neue Dürre in Äthiopien

Knapp zwei Millionen Menschen vom Hungertod bedroht / Die Gebiete der eritreischen Befreiungsfront sind besonders hart betroffen Die staatliche Hilfsorganisation beliefert vorzugsweise die Armee / Für die Bauern lohnt es meist nicht, die Ernte einzufahren  ■  Aus Nairobi Christa Wichterich

Auf seinem steinigen Acker südöstlich von Asmara, der Provinzhauptstadt von Eritrea, streitet der Bauer Gebremedhin, 76, mit dem Hirten Mikhael, 68, ob die diesjährige Dürre schlimmer ist als die von 1984. Eine makabere Szene mitten in der Einöde.

In der Hauptregenzeit im Juli und August sind nur zwei Schauer niedergegangen. Die Hirse steht 20 Zentimeter hoch auf dem Feld, kaum Frucht am Halm. Das Abernten lohnt sich nicht, also läßt der Hirte Mikail die Kühe und Ochsen des Dorfes das wenige abfressen. Gebremedhin hat bereits einen seiner drei Ochsen verkauft, für 400 Mark, im letzten Jahr hätte er 1.000 gebracht. Fallende Vieh- und Fleischpreise, steigende Getreidepreise - so spiegelt sich auf dem Markt von Asmara die Trockenheit wieder. Wer es sich leisten kann, kauft jetzt Getreide für ein ganzes Jahr. Das Wasser ist in Asmara bereits rationiert. Die Dürren, die früher im biblischen Rhythmus von sieben Jahren eintraten, werden immer häufiger. Kein Wunder, wenn man die abgeholzten Bergketten im Norden Äthiopiens und die wegen des Bürgerkrieges ungenutzten Bewässerungsmöglichkeiten sieht.

Gebremedhin hatte im letzten Jahr eine prachtvolle Ernte. Doch die Vorräte sind jetzt aufgebraucht. Er hofft auf Nahrungsmittelhilfe. Seine Sorgen haben die Vereinten Nationen wie üblich in Arithemetik gefaßt: Nur 20 Prozent der letztjährigen Ernte wird heuer in Eritrea eingebracht, im nächsten Jahr sind 1,5 Millionen Eritreer auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 220.000 Tonnen werden benötigt, plus 210.000 Tonne für 200.000 erwartete Dürreflüchtlinge aus Tigray.

Die UN schlägt Alarm, weil „die Pipeline zur Zeit leer ist“. Wegen der Rekordernte des letzten Jahres sind kaum noch Lieferungen nach Äthiopien geflogen worden. Die Hilfsorganisationen können die 160.000 Flüchtlinge, die in Lagern in Asmara, Keren und Ghindi leben, schon nicht mehr versorgen.

Steht also wieder eine Katastrophe biblischer Ausmaße bevor? „Keiner wird an Hunger sterben. Wir haben unsere Lektion gelernt. Unser Busineß ist Optimismus“, antwortet Benno Haffner. EG-Vertreter in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba, technokratisch, zynisch, kurz. Das Dürreelend ist für ihn längst zur Routine geworden. Er schwört auf die Zuverlässigkeit des RRC, der Hilfsorganisation der äthiopischen Regierung.

Die äthiopische Regierung hat jetzt ihre bisherige Zurückhaltung aufgegeben. Eine RRC-Schätzung von dieser Woche übertraf noch die der UNO: Fast zwei Millionen Menschen seien im Norden des Landes von Hunger bedroht und benötigten bis Anfang nächsten Jahres 333.000 Tonnen Nahrungsmittelhilfe. Micael Giorghis von der ERA in Khartoum, der Hilfsorganisation der eritreischen Befreiungsbewegung EPLF, fürchtet jedoch, daß Dürre und Hunger einmal mehr als Waffe im Krieg benutzt würden. Die staatliche RRC beliefere zuallererst die Armee. Ohne die Hungerhilfe aus dem Westen wäre der Krieg für die äthiopische Regierung längst verloren. Die UN und EG könnten über ihre Kanäle die Dürreopfer und den von der EPLF „befreiten“ Gebieten überhaupt nicht erreichen, denn wenn die Menschen zu den Verteilungsstellen gingen, würden sie von der Armee umzingelt, evakuiert und junge Männer zwangsrekrutiiert. Die ERA schätzt, daß fast drei Viertel der vom Hungertod Bedrohten aus EPLF-Gebieten stammen. Also schlägt auch sie die Werbetrommel und bittet um Spenden, damit sie vom Sudan aus die Betroffenen in „ihren“ Gebieten versorgen kann. Kein Zweifel: Neue Hilfe braucht das Land, aber keine Politik mit Katastrophenzahlen und Dürreopfern.

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