Goethes Rotweinnase hat ausgedient

Nach der verkorksten Bundesgartenschau streitet die rot-grüne Frankfurter Stadtregierung mit der Buga-GmbH über den „Rückbau“ des Spektakels / Kunstbiotop wird zugeschüttet / Kontroverse Bemühungen um Rollstuhlfahrer und Kleintiere  ■  Aus Frankfurt Heide Platen

Der Himmel ist bedeckt und trübe in diesen Frankfurter Herbsttagen. Und Michael Martell wirkt auch nicht gerade heiter. Der Mann aus der Werbeagentur Leipziger & Partner muß zurück hinter den Schreibtisch. Vorbei ist es mit der Vor- und Nachbereitung, vorbei mit der Pressebetreuung und überhaupt mit der Bundesgartenschau. Wehmütig wandert er noch einmal die Mäander des Baches entlang, der nach 171 Tagen Bugaspektakel still vor sich hinsteht und aussieht wie ein wirkliches, echtes Biotop mit Schilf und Binsen und Entengrütze. Drin paddeln tatsächlich Enten und Teichhühner. Drüber sirren braunrote, schwarze, grüne Libellen. Irgendwo platscht ein Frosch ins Wasser. „Das sind sie, die Tiere, die die Buga angeblich vertrieben hat!“, sagt Martell, und seine leise Stimme schwillt ganz leicht an.

Der Bach war von Anfang an ein Zankapfel. Fließen hätte das Kunstprodukt mit Folienuntergrund, das da in die Niddawiesen im Westen Frankfurts gegraben wurde, nur können, wenn es mit Grundwasser gespeist worden wäre. Gerichte befaßten sich mit entsprechenden Klagen der NaturschützerInnen.

Zu Beginn der Gartenschau im Frühjahr 1989 war klar: nichts darf hier fließen. Folglich füllte sich das Gerinne mit Regenwasser und wucherte zu. Bis gegen Ende der Gartenschau am 15. Oktober stand das Wasser dennoch randvoll im Bach. Verwunderte BesucherInnen nickten sich zu: wirklich ein verregneter Sommer. Daß es nicht nur der Regen, sondern die illegale Entnahme von Tausenden von Litern Grundwasser war, die des Bächleins oberirdisches Überleben garantierte, setzte den mißtönenden Schlußakkord in der zerrütteten Beziehung zwischen der inzwischen rot-grünen Stadtregierung und der Bundesgartenschau GmbH. Der grüne Umweltdezernent Tom Koenigs möchte die Firma rückstandslos auflösen und die städtischen Bediensteten in ihre Behörden zurückbeordern. Die wehren sich lautstark, hat ihnen ihr Wirken im Freien doch allzu gut gefallen. Geschäftsführer Peter Ansorg bot sich Ende Oktober - samt seinen rund 50 MitarbeiterInnen als Experte nicht nur für Grüngürtel und Olympiade, sondern auch für jene Operation an, die SPD und Grüne als eines der Ergebnisse ihrer Koalitionsverhandlungen gefeiert hatten: Den „Rückbau“ der Bundesgartenschau. Sie setzten sich damit von den Plänen der CDU ab, die für die Zukunft einen „Volkspark Niddatal“ angekündigt hatte.

Seither wird heftig darum gestritten, was der Unterschied zwischen dem einen und dem anderen ist. Breite Wege oder schmale? Die Bugagesellschaft möchte die breiten Wege erhalten, auch wegen „der Rollstuhlfahrer“, die Grünen wollen Pfade von zwei Metern, wegen der „Kleintiere“. Das sei „künstlich“ und nur an der Oberfläche durchführbar, hält die Buga-GmbH dagegen. Martell sieht die Grünen schon planlos baggern und Weg und Steg im Schlamm versinken.

Die postmoderne Lindenallee, 400 frischgepflanzte Bäume, die sich tapfer aus ihren Stützbalken recken, bleibt erhalten. Die Grünen wollten sie, so die Pressereferentin des Umweltdezernenten, Tina Morgenschweis, weghaben, weil sie „künstlich“ angelegt sei. Martell sieht in den schnurgeraden Baumreihen am Rande des Geländes, auf dem sich vormals Kleingärtner und ein Indianerclub vergnügten, ein raumgestaltendes Element. Ein ebensolches seien, versichert er, jene zwölf von den Grünen monierten, Stelen und Dolmen nachempfundenen Granitgebilde, die als „Ruhepunkte“ auf den Wiesen stehen. Die vielleicht drei mal drei Meter großen Stelzen, auf denen spitze Steingiebel ruhen, erinnern an recht praktische, wenn auch schwergewichtige Regenunterstände.

„Rückbau“, das ist vor allem eine Serie eher unspektakulärer Kompromisse. Der 2.100 Meter lange Zaun verschwindet auf Drängen der Grünen schneller als vorgesehen. Er sei zum Schutz der Pflanzen da, hatte die Buga gegen die Öko-Partei argumentiert. Pressesprecher Martell sieht das pragmatischer. Seine Schreckensvision: wenn der Zaun zu früh abgebaut werde, wimmele das noch immer rund um die Uhr bewachte Gelände bald von Dieben, die alles das abräumen, was im Einverständnis der Streithähne eingesammelt und Ende November bis auf den letzten Knopf versteigert werden soll. Nun geben selbst renommierte KleingärtnerInnen unumwunden zu, daß sie notorisch klauen. Zu holen wären nicht nur eine Riesenmenge Rosenbüsche, Sträucher und Stauden, sondern auch zum Beispiel Gartenstühle. Von den ursprünglich 2.500, merkt Martell an, fehlen heuer schon 500. Ob er weiß, daß solche Stühle unter städtischen Bediensteten für sechs Mark pro Stück gehandelt werden? Einigkeit besteht darin, daß alle Zelte, Bauwerke, Imbißbuden aus dem Gelände verschwinden. Der Kinderspielplatz wird vom Rand des mit Wildkräutern bepflanzten Ginnheimer Wäldchens in die Nähe von zwei Hochhäusern verlegt.

Bleibt der Streit um das Gerinne. Die Grünen wollen ihn zugeschüttet wissen bis auf einen Rest des alten Wooggrabens, der sich einst in die begradigte und betonierte Nidda ergoß. Den großen Plan, diese zu renaturieren haben wohl auch die Grünen aus Kostengründen inzwischen zu den Akten gelegt. Versuche, die Wasserqualität des Flusses zu verbessern, scheiterten. Martell hat Verständnis für die AnwohnerInnen des Niddatales. Diese hätten die Begradigung seinerzeit durchgesetzt, um die jährlichen Überschwemmungen einzudämmen. Daß aber der Buga-Bach zugeschüttet werden soll, das gefällt ihm gar nicht, auch wenn er auf Fragen dazu ausweicht. Der sinnliche Eindruck eines Spazierganges am Bach ist eben das eine, die Arbeit als Pressesprecher das andere.

Ein bißchen Mitgefühl ist ohnehin angebracht. Die Bundesgartenschau in Frankfurt mit ihren Kosten von vorerst 220 Millionen und Einnahmen von 20 Millionen Mark war schließlich eine Pleite erster Ordnung. Statt der erwarteten acht Millionen BesucherInnen kamen gerade die Hälfte. Die Schuldzuweisungen sind vielfältig. Lag es daran, daß es dem Kaffeefahrtenpublikum an dekorativen Rabatten fehlte? Oder daran, daß die Naturbeflissenen Gartenschauen ohnehin nicht mögen, seien sie noch so „naturnah“ konzipiert? Daran, daß die Buga nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar war?

Der riesige Busparkplatz jedenfalls blieb weitgehend ungenutzt. Auch er wird verschwinden. Mit beträchtlichem Aufwand war der Mutterboden abgetragen und Schotter auf einer Folie, die jetzt wieder eingesammelt wird, aufgeschüttet worden - Rückbau vorab geplant.

Auch auf dem Gelände Rückbau allenthalben: in den Hallen stapeln sich Blumenkörbe, -kübel und -töpfe, Amphoren „echt antik“, Stapelstühle. Mittendrin steht die alberne Riesenplastik, Symbol der Gartenschau: Goethe aus Pappe mit Rotweinnase. Draußen schrauben Arbeiter die schmiedeeisernen Laternen ab, die Bundespost sammelt die Telefonzellen ein. Die Schienen der Kleinbahn werden „zurückgebaut“ wie der Humus der Rabatten. Den fahren kleine Lastwagen an den Rand des Busparkplatzes. Dort schaufeln ihn die lauernden KleingärtnerInnen eiligst und eifrig mit kleinen Schäufelchen in die mitgebrachten Plastiktüten.