: Appell an die Securitate
Der rumänische Schriftsteller Dan Petrescu ist seit vier Wochen im Hungerstreik / Drohungen gegen Freunde / Ceausescu verschärft ideologische Kampagne / ■ Von William Totok
Berlin (taz) - Als im Mai des vergangenen Jahres in West -Berlin der internationale Schriftstellerkongreß „Ein Traum von Europa“ tagte, war einer der geladenen Autoren nicht erschienen, weil ihm die rumänischen Behörden die Teilnahme untersagt hatten.
Dan Petrescu - von ihm ist die Rede - schrieb daraufhin einen offenen Brief an die versammelten Schriftsteller, in dem er die menschenverachtende Politik des Ceausescu-Regimes anprangerte.
Seither hat sich die osteuropäische Reformbewegung in einem rasanten Tempo entwickelt: In Rumänien dagegen hagelt es „unaufhörlich Attacken gegen die „Destabilisierungsversuche imperialistischer Kreise“, die, wie es Ceausescu auf der Plenartagung der rumänischen KP formulierte, eine „Restauration des Kapitalismus“ verfolgten (vgl. 'Scinteia‘ vom 25.10.89). Selbst der in 'La Republica‘ erschienene Angriff auf den sowjetischen Radikalreformer Boris Jelzin wurde im Zentralorgan der Partei ('Scinteia‘, 5.10.) nachgedruckt, ebenso das Interview mit dem ungarischen Altstalinisten Antonowiecz Roland (aus 'Nepszabadsag‘), um die Leser über die Absichten des „Liquidatoristen“ Imre Pozsgay zu informieren, der in seinem Land die „Diktatur des Proletariats“ stürzen will.
In diese ideologische Kampagne platzte ein offener Brief von Dan Petrescu, in dem der Schriftsteller sich an die Securitate, den Staatssicherheitsdienst, wendet und diesem vorwirft, die Stütze des Regimes zu sein und das Land in die Isolation getrieben zu haben. Im Gegensatz zur Mehrheit des Volkes, das die grausamsten Entbehrungen zu erdulden hat, schreibt Petrescu, erfreuten sich die Repressionsorgane, die Securitate und die Miliz, außergewöhnlicher Privilegien. Petrescu beschreibt in seinem Brief seine eigene Situation und die seiner Freunde und Schriftstellerkollegen, die nicht dem „Rat“ der Securitate gefolgt sind und den Kontakt zu ihm abgebrochen haben. Der Hochschullehrer Luca Pitu aus Jassy beispielsweise wurde, laut Petrescu, fristlos entlassen, er hat Publikationsverbot, alle Auslandsreisen wurden ihm untersagt. In einer ähnlichen Lage befinden sich die Bukarester Lyrikerin Mariana Marin, der Dichter Alexandru Tacu, der Literaturkritiker Alexandru Calinescu, die Schriftsteller Sorin Antohi, Liviu Antonesei, Nicolae Ionel und Aurel Dumitrascu. Alle wurden von der Securitate aufgefordert, die Beziehungen zu Petrescu abzubrechen. Nachdem der Brief an die Öffentlichkeit gelangt war, wurde auch Petrescu, der als Bibliothekar in der Universitätsbücherei von Jassy arbeitete, fristlos entlassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen