Doch kein Kohl auf dem Annaberg?

■ Kanzlerberater Teltschik soll bei Blitzbesuch in Warschau den Streit um Kohls Besuch auf dem historischen Annaberg schlichten / Bonn signalisiert einen Verzicht auf den umstrittenen Programmpunkt der Polenreise / Solidarnosc-Zeitung warnt vor „Hysterie“

Berlin/Warschau (dpa/ap/taz) - Nach heftigen Reaktionen in der polnischen und bundesdeutschen Öffentlichkeit ist Bundeskanzler Kohl nun offenbar doch bereit, bei seiner bevorstehenden Polenreise auf einen Auftritt auf dem oberschlesischen Annaberg zu verzichten. Zur Beseitigung der deutsch-polnischen Verstimmung, die sein geplanter Besuch des historischen Bergs ausgelöst hatte, reiste gestern Kanzlerberater Horst Teltschik zu einer Blitzvisite nach Warschau. Offiziell hieß sein überstürzter „Feuerwehreinsatz“ „Feinabstimmung“ des Besuchsprogramms.

Tatsächlich hatte Teltschik schon vor seiner Abreise im Westdeutschen Rundfunk deutlich gemacht, daß der von Kohl gewünschte Besuch einer deutschsprachigen Messe auf dem Annaberg notfalls gestrichen werden könnte. Teltschik wörtlich: „Wir sind dabei entweder vor Ort, also auf dem Annaberg, eine Lösung zu finden oder eine andere Lösung.“

Der Streit zeige, so Teltschik im WDR, „wie weit weg wir noch von der Aussöhnung zwischen unseren beiden Völkern sind“. Der Sondermission des Kanzlerberaters war ein halbstündiges Gespräch zwischen Kohl und dem polnischen Ministerpräsidenten Mazowiecki vorausgegangen.

Kohls Besuchspläne auf dem Annaberg, wo 1921 deutsche Freikorps einen Aufstand polnischer Nationalisten niederschlugen und dabei Dorfbewohner folterten und ermordeten, haben gestern zu heftigen Reaktionen in der polnischen Presse geführt. Offenbar unter dem Druck einer von der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) initiierten Pressekampagne meldete sich gestern erstmals die polnische Regierung zu Wort. In einem Interview mit der Parteizeitung 'Tribuna Ludu‘ erklärte Minister Jacek Ambroziak, ein Vertrauter von Ministerpräsident Mazowiecki, es sei nicht gut, daß „einer der Wünsche der westdeutschen Seite vor der endgültigen Festlegung des Programms in die öffentliche Diskussion geraten ist. Mit Rücksicht auf die „patriotische Bedeutung dieses Ortes im polnischen Nationalbewußtsein“ erachte die Regierung einen solchen Programmpunkt als „unglücklich.“

Die Warschauer Zeitung 'Zycie Warszawy‘ kommentierte gestern, hinter dem bisherigen Festhalten Kohls am Annabergbesuch stünde die Absicht, die westdeutschen Vertriebenenverbände bei der Stange halten zu wollen. Im Kloster Annaberg treffen sich seit einiger Zeit jeden Sonntag rund zweitausend Angehörige der deutschen Minderheit, um dort eine deutschsprachige Messe zu feiern.

Die der Solidarno1sc nahestehende Zeitung 'Gazeta Wyborcza‘ kommentierte Kohls Besuchspläne gestern eher mit Zurückhaltung. In einem Kommentar warnt dort Janusz Rajter vor „verfrühter Aufregung“, denn das endgültige Besuchsprogramm stünde doch noch gar nicht fest. „Der hysterische Ton, in dem die 'Tribuna Ludu'-Artikel verfaßt sind, weckt Befürchtungen. Können wir uns in einer solchen Sprache mit den Deutschen verständigen?“ fragt die Solidarnosc-nahe Zeitung, „das Schicksal unseres Landes entscheidet sich nicht auf dem Annaberg. Wir haben ganz andere Herausforderungen zu bestehen, bei denen die Deutschen wie auch unsere anderen Nachbarn unsere Verbündeten sein können. Wenn ihnen nicht das fehlt, was man auf deutsch - Fingerspitzengefühl- bezeichnet“, schreibt die 'Gazeta Wybocza‘ weiter.