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SED will führende Rolle auf der Straße

DDR-Führung versucht, die staats- und parteiunabhängige Massendemonstration für Pressefreiheit zu vereinnahmen / Gestern rief der Oberbürgermeister „Berliner Bürger“ zur „friedlichen Manifestation“ auf  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Zehntausende, vielleicht Hunderttausende OstberlinerInnen werden am Samstag vormittag vom 'adn' -Gebäude zum Alexanderplatz ziehen. Ursprünglich war eine staats- und parteiunabhängige Demonstration für Pressefreiheit geplant. Gestern verbreitete die FDJ-Zeitung einen Aufruf von Ost-Berlins OB Krack, Kulturminister Hoffmann und dem Vorsitzenden der Gewerkschaft Kunst zu eben jener Demonstration. Kunst- und Kulturschaffende wollten, so heißt es im Aufruf, „gemeinsam mit anderen Werktätigen der Hauptstadt für eine DDR als sozialistischem Rechtsstaat eintreten, der die Rechte und Meinungen seiner Bürger schützt und ihnen entspricht“.

Die Geschichte der Demonstration ist bereits jetzt ein bemerkenswertes Beispiel für die Versuche der SED, an die Spitze der Demokratiebewegung zu spurten: Am 15. Oktober verkündeten Theaterschaffende bei einem Rockkonzert in der Erlöserkirche ihren Vorschlag, am 4. November auf die Straße zu gehen. Rasch vergrößerte sich der offizielle Unterstützerkreis für die Aktion. Unterhaltungskünstler, der Verband der bildenden Künstler sowie 44 Mitarbeiter der liberalen Partei-Zeitung 'Der Morgen‘ schlossen sich an. Per Rundfunktelefonat lud Bärbel Bohley Wolf Biermann ein. Der Schriftsteller Stefan Heym verlangte in der vergangenen Woche öffentlich Arbeitsmöglichkeiten in der DDR für die Ausgebürgerten, „wenigstens schon mal eine Auftrittserlaubnis für Biermann am 4. Novmeber“. Vergeblich.

Nach bürokratischem Hin und Her genehmigten die Behörden die Demonstration ohne Rücksicht auf bestehende Anmeldevorschriften. Kurzfristig erwog die SED eine Alternativdemonstration im „Lustgarten“ der Hauptstadt, ließ diesen Gedanken aber spätestens nach dem Sonntag fallen, als vor dem Roten Rathaus jemand vom Neuen Forum durch die staatliche Lautsprecheranlage mehrere tausend Menschen zur Demo eingeladen hatte. Zwei Tage später die ersten Gerüchte über die Redner während der Kundgebung um 12 Uhr am Alex: Günter Schabowski, OB Krack, Ex-Spionage-Boß Markus Wolf, Prof. Jens Reich vom Neuen Forum, LDPD-Vorsitzender Manfred Gerlach, die Schriftsteller Christoph Hein und Christa Wolf sowie sechs weitere, nicht namentlich Bekannte.

Konkrete Vereinbarungen über die Rednerliste teilte die amtliche Nachrichtenagentur 'adn‘ am Mittwoch nicht mit. Statt dessen war nach einer Pressekonferenz mit Künstlern und Volkspolizei die Rede von einer „Sicherheitspartnerschaft“ zwischen Veranstaltern und Polizei. Rund 600 Künstler mit grün-gelben Schärpen mit der Aufschrift „Keine Gewalt“ seien als Ordner eingesetzt. Die Donnerstagszeitungen publizieren eine „Presseskizze“ zur Demo-Route. All diese generalstabsmäßigen Vorbereitungen verstärkten gestern in Ost-Berlin die Vermutung, daß die SED „eine Kundgebung wie am 1. Mai organisieren“ wolle.

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