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ABZIEHBILDCHEN

■ „Fünf Bier und ein Kaffee“ von Rudolf Steiner

Der Wecker klingelt und wird abgestellt. Das Telefon läutet und der Anrufer wird kurz abgefertigt. Ein Schäferhund leckt dem langsam Wachwerdenden das Gesicht, und der verläßt die Matratze. Die Klamotten übergeworfen. Über dem dreckigen Geschirr im Waschbecken werden die Zähne geputzt. Kaltes Wasser ins Gesicht, raus aus der Wohnung. Ein „typisch“ Kreuzberger Tag hat begonnen.

Sam packt seinen Hund Freak, für den immer der Beifahrersitz reserviert ist, ins Auto und sammelt Bernd, Norman, Volker und Stefan, genannt Fanta, auf. Sie klauen im Supermarkt, fahren in den Probenraum, denn sie sind eine Band, natürlich. Sie spielen ein bißchen und trinken dann lieber Bier und pinkeln wieder ins Treppenhaus.

Jeder kann und soll sich hier wiedererkennen, zumindest jeder männlichen Geschlechts unter 30 (uff, noch mal schwein gehabt. sezza), der einmal in Kreuzberg gewohnt hat oder immer noch dort wohnt. Nicht unbedingt im Stadtteil selbst, eher schon in diesem symbolischen Kreuzberg, das von Leuten, die unbedingt dort wohnen wollen, und Leuten, die unbedingt nicht dort wohnen wollen, in erbitterten Diskussionen an bierfeuchten Kneipentischen innerhalb und außerhalb Kreuzbergs immer wieder heraufbeschworen wird. Wie fast alle Filme ist auch dieser verliebt in die Klischees, die er selbst reproduziert.

Allerlei kleine Anekdötchen passieren: Bernd klaut ein Fahrrad, wird verfolgt und lernt die Besitzerin des Diebesguts kennen und lieben. Oder: Fanta wird von seiner Freundin rausgewofen, schläft in einem Auto auf dem Schrottplatz und landet beinahe in der Schrottpresse. So könnte es ewig weitergehen, noch ein paar Geschichten und noch eine, fast wie manche Woody-Allen-Filme, die keine durchgehende Story erzählen, sondern allein von ihren Charakteren und den kleinen Episoden leben.

Aber hier soll noch was passieren, auch wenn wir nach fast der Hälfte des Films immer noch mitten in der Exposition stecken. Da wird Fanta verhaftet, gebärdet sich beim Verhör wie ein Verrückter, landet in der Klappse, und langsam kommt eine Story in Gang. Im Irrenhaus lernt Fanta Lissy kennen, eine alte Dame, die Mundharmonika spielen und singen kann und so die Sympathie von Fanta gewinnt. Bei der Befreiungsaktion durch seine Kumpels will Fanta nicht ohne Lissy gehen, und so entführen sie die Oma. Beim erstbesten Imbiß bestellen sie „fünf Bier und einen Kaffee“, geben dem Film den Titel, die Geschichte ist da und doch schon viel zu schnell wieder vorbei - und das Ende ist schmerzhaft und traurig.

Liebenswert billig ist die Produktion, liebenswert versponnen die Charaktere, liebenswert vertraut der Gegenstand und überhaupt alles ist zum Schmunzeln liebenswert, auch wenn man sich bei der eigenen Selbststilisierung manchmal ertappt fühlt. Ein gelungenes Abziehbildchen vom Leben in Berlin, das es so nur im Hinterhof der Köpfe gibt. Nicht umsonst sind die Namen einiger Schauspieler mit denen ihrer Rollen identisch. Ein Film von Menschen mit den Menschen über ihr eigenes Leben oder zumindest die Seite ihres Lebens, die sie romantisch genug finden, um sie verfilmt zu sehen. Verkauft wird uns hier der typische Kreuzberger, wie ihn der typische Kreuzberger gern selbst sieht.

Daß die Geschichte keine wird, sondern sich in lauter kleine Geschichten auflöst, stört dann auch nicht weiter. Große Geschichten kann man jeden Tag haben, aber das eigene Leben im Kino ist mal was völlig anderes.

Thomas Winkler

„Fünf Bier und ein Kaffee“ von Rudolf Steiner, mit Sami Kovacevic, Michael Wrzesinski, Volker Guhlich, Bernd Manzke, Norma Herbst, Eva Lissa u.a., um 19.15 und 21 Uhr im Moviemento 1

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