: Reinigung und Verbrüderung
„Katharsis“ und „Symfiliossi“, Reinigung und Verbrüderung, lauten die Zauberwörter, die die griechische Politik der vier Monate - seit den letzten Wahlen - bestimmt haben. Damals faßten Konservative und KommunistInnen den historischen Entschluß, eine Koalition zu bilden, deren einziges Ziel es war, mit den Betrügereien und Schlampereien der vorangegangenen achtjährigen sozialistischen Regierung unter dem charismatischen Andreas Papandreou aufzuräumen. Die Bilanz ihrer Arbeit kann sich sehen lassen: Die GriechInnen erfuhren nicht nur zahlreiche Einzelheiten über die großen Skandale der letzten Jahre, ihr Parlament beschloß auch, daß der ehemalige Ministerpräsident und vier seiner Minister vor ein Sondergericht gestellt werden sollen.
Die Verwicklungen der Panhellenischen Sozialistischen Partei (Pasok) in den Koskotas-Finanzskandal und der öffentliche Streit über Papandreous-Privatleben hatte die Partei bei den Wahlen am 18.Juni ihre absolute Mehrheit gekostet. Sie fiel von 45 auf 39 Prozent. Erstmals seit 1974, dem Ende der Militärdiktatur, war damit die Bildung einer Koalitionsregierung erforderlich. Nach allen Erfahrungen der griechischen Politik sah es so aus, als ob es nur zwei Möglichkeiten gebe: eine Koalition zwischen der Pasok und der kommunistisch dominierten „Linken Koalition“ oder sofortige Neuwahlen. Doch statt dessen taten sich die alten Klassenfeinde Nea Dimokratia und KommunistInnen zusammen. Niemand hatte das vorausgesehen, auch im internationalen Vergleich war es eine Premiere.
Papandreou:
„Eine unheilige Allianz“
Tiefgreifenden Umstrukturierungen im Inneren der Kommunistischen Partei Griechenlands und die Reformbewegungen in Osteuropa hatten die Voraussetzungen für dieses befristete Bündnis geschaffen, das Ex-Premier Papandreou sogleich „unheilige Allianz“ taufte. Mit dem Nea -Dimokratia-Mann Tzannis Tzannetakis als Ministerpräsidenten und ihrem hektisch ausgehandelten Katharsis-Programm für das politische Leben des Landes ging die neue Regierung ans Werk. Von vornherein hatte sie sich ein Zeitlimit bis Mitte Oktober gesetzt. Anschließend sollten Neuwahlen ausgeschrieben werden.
Fast täglich warteten während der Zeit der Koalitionsregierung vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse mit neuen, unglaublichen Geschichten auf. Mit rund 200 Millionen Dollars soll die Führungsriege der Pasok die Bank von Kreta geschröpft haben. Vermittler dieser Schmiergelder war der Ex-Bankier Giorgios Koskotas, der heute in einem US-amerikanischen Gefängnis auf seine Auslieferung wartet und sich längst mit belastenden Aussagen gegen seine früheren Freunde gewandt hat.
Bittere Erinnerungen an die Zeit der Militärdiktatur weckte in der griechischen Öffentlichkeit der „Telefon-Skandal“. Die Anschlüsse zahlreicher Oppositionspolitiker, Journalisten, Zeitungsverleger, aber auch sozialistischer Minister und Parteifunktionäre sollen im Auftrag von Papandreou angezapft worden sein. Die „Beweisstücke“ politische Telefonate, aber auch ganz intimes Geflüster wurden in jenen Septembertagen von der griechischen Presse dokumentiert.
Dicke Schiergelder
von Mirage
Vom Parlament „schuldig“ gesprochen wurde die Regierung Papandreou auch wegen mehrerer „kleinerer“ Skandale. Zum Beispiel haben Pasok-Funktionäre illegal billigen Mais aus Jugoslawien importiert und zu wesentlich höheren griechischen Preisen auf dem EG-Markt abgesetzt. Und beim Kauf von Mirage-Kampfflugzeugen wechselten großzügige Schmiergelder den Besitzer.
Mit Hilfe des „Gesetzes über die Verantwortlichkeit von Ministern“ ist es der Links-Rechts-Koalition gelungen, ehemalige Pasok-Politiker zu einem Gerichtsverfahren zu verdonnern. Möglicherweise wird sich Andreas Papandreou als erster griechischer Ministerpräsident vor der Justiz verantworten müssen. Ob es tatsächlich zu diesen Verfahren kommt, wird auch von der politischen Konstellation nach den morgigen Wahlen abhängen.
Die Links-Rechts-Koalition beschränkte sich nicht nur auf die Suche nach strafrechtlichen Delikten von Pasok -Politikern. Sie versuchte auch, die staatlichen Institutionen effizienter zu machen. So erhielt die völlig verfilzte griechische Justiz wieder mehr Unabhängigkeit, und dem Parlament wurde eine größere Kontrolle von Regierungsentscheidungen eingeräumt.
Verbrennung der Geschichte
Starken symbolischen Charakter hatte die Verbrennung von 30 Millionen Geheimdossiers, die während und nach dem griechischen Bürgerkrieg angelegt worden waren. Diese „Versöhnungsgeste“ am 29.August, dem 40. Jahrestag des Bürgerkriegsendes fand jedoch auch viele Gegner: Sie befürchteten, die eigene Geschichte solle verbrannt werden. Die Initiatoren der Verbrennungsaktion sind in der Zeit des Bürgerkrieges Todfeinde gewesen, jetzt saßen sie nebeneinander auf der Regierungsbank.
Robert Stadler
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