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„A woman's place is on top“

■ Die polnische Extrembergsteigerin Wanda Rutkiewicz war am Freitag und Samstag in Berlin / Von der Kunst, ungesichert zu überleben / Sie hat in Frauen- und Männerseilschaften fünf Achttausender bezwungen / Der nächste Achttausender ist schon angepeilt

Sie ist eher klein von Gestalt, zierlich, spricht mit einer sanften, zurückhaltenden Stimme. Roheit, Verbissenheit und Durchsetzungskraft wären das letzte, was einem spontan zu Wanda Rutkiewicz einfallen könnte.

Am Mount Everest, dem höchsten Berg der Erde, hat sie 75 Kilogramm Expeditionsgepäck zum zweiten Hochlager hinaufgeschleppt. Und daß sie in 26 Jahren fast 40 Gefährten am Berg verloren hat, darunter einige ihrer besten Freunde, ist für sie zuerst einmal eine sachliche Feststellung.

Gestern noch war sie auf der Trauermesse in Kattowice für ihren Landsmann und Freund Jerzy Kukuczka, dem anerkannt stärksten Höhenbergsteiger der achtziger Jahre, einem der beiden Männer, die alle 14 Achttausender dieses Planeten besteigen konnten. Er starb letzte Woche im Himalaya, kurz unter dem Gipfel in der noch unbestiegenen Südwand des Lhotse.

Heute wird Wanda Rutkiewicz einen Vortrag in Berlin halten, ein kleiner Schritt auf dem mühsamen Weg der Beschaffung des nötigen Kleingeldes für die nächste Expedition - in den Himalaya.

Natürlich, sie wird weiter in die Berge gehen, auf die höchsten steigen. Es gibt für sie, wie es auch für Kukuczka galt, nichts, was sie lieber täte. Die großen Emotionen im Augenblick der und nach bestandener Gefahr, das Abschütteln der Probleme der Ebene für einige Wochen, die Rückkehr vom Gipfel, als „Wiedergeburt“ erlebt, die gewonnene Stärke für den Abstieg in den Alltag - darauf will sie nicht verzichten.

Wie wird man zu einer Ausnahmeerscheinung, zur bislang einzigen Frau, die neben vielen anderen Bergen fünf Achttausender erstieg und überlebte, zu einer Expeditionsleiterin von Männer- und Frauengruppen, kurz: Wie ist ihre Selbständigkeit entstanden?

Mit 18 Jahren wurde sie, eine gute Leichtathletin und Volleyballspielerin, von Freunden zum Klettern mitgenommen in einen sogenannten Klettergarten, zum Üben an 20 bis 30 Meter hohen Felswänden. Sie kam wieder. Schon beim zweiten Mal kümmerte sich keiner der Männer mehr recht um sie, so daß sie einfach allein, ohne Seilsicherung, in einen schwierigen Wandteil einstieg. Sie stürzte nicht und hatte die wichtigste Lektion schon gelernt: selbstverantwortlich handeln, Möglichkeiten und Risiken abschätzen, sich einen Durchführungsplan für die Wunschroute zurechtlegen und dann nur noch klettern.

Männer führen, besonders häufig noch in den Bergen. Frauen steigen nach. Die Hauptverantwortung trägt der gefährdetere Vorsteiger, für sich, für den Seilzweiten, für die Wahl der richtigen Route. Eine merkliche Veränderung dieses Verhältnisses hat in den Bergen bisher nicht stattgefunden. Bis heute wird der Himalayaismus noch weitgehend von Männern dominiert: Härte, Gefahr, Mut, Willensstärke sind die Kennworte für eine Mischung aus Abenteuer und Sport, die sich vorzüglich heroisieren läßt.

Dochdoch, sie schätze das Risiko, sie brauche es, sagt sie, immer wieder lächelnd, mit diesem weichen Tonfall. Dann duckt sie sich plötzlich, ein Poltern im Raum über uns. Klaustrophobie, sagt sie, sei einer der Gründe, in die Berge zu gehen - in geschlossenen, niedrigen Räumen fühle sie sich unwohl.

Das Risiko ist keine unangenehme Zugabe, es gehört wesentlich zum Bergsteigen. Erst der Gang durch Zweifel und Anfechtungen, erst die entschlossene Handlung, die der Abwägung folgt, erzeugt jene Empfindungen, die bleiben und die sie nicht missen will. Sucht? Sicher - aber ohne aus ihr aussteigen zu wollen, ohne Aussicht und Wunsch auf eine Ersatzdroge, vor allem: ohne beachtenswerte Nebenwirkungen. Reinhold Messner hat diesen Zustand einmal als „natural high“ bezeichnet.

Sie ist für einen fairen Leistungsvergleich zwischen Männern und Frauen. Die beste Bergsteigerin wird nie so gut sein wie der beste Bergsteiger - vergleichbar den unterschiedlichen Leistungen beim 100-Meter-Lauf. Bisher sei jedoch nur selten gewährleistet, daß Männer und Frauen sich als gleichberechtigte Partner in gemischten Gruppen finden könnten. Zu lernen, was Frauen an Entscheidungen bislang abgenommen worden ist, sei am günstigsten in reinen Frauengesellschaften.

Wanda Rutkiewicz hat mehrere Frauenexpeditionen geführt, erfolgreiche und weniger erfolgreiche. 1985 erreichte sie mit ihrem Frauenteam den Nanga Parbat (8.125 m), eine weitere Premiere. Aber sie ist wie selbstverständlich das Wagnis eingegangen, als einzige Frau an einer sonst nur aus Männern bestehenden Expedition teilzunehmen. Diese achteten sehr darauf, daß ihr nichts geschenkt wurde. Sie biß sich durch, in diesem Fall bis zum höchsten Punkt der Erde, dem Gipfel des Mount Everest.

Über die notwendige Härte, hohe Ziele auch zu erreichen, wird man kaum etwas von ihr selbst erfahren. Doch genügt ein Blick auf ihre Hände: Arbeiterhände einer Akademikerin, verdickte Fingergelenke, Narben und Schrunden, Folgen von häufiger Überanstrengung, energischem Zugriff und Erfrierungen. Damit muß man rechnen, damit kann frau leben, also weiter klettern. 1982 ist sie, an den Folgen eines offenen Beinbruchs laborierend, 150 km auf Krücken zum Basislager am K2, dem zweithöchsten Berg, gestöckelt. Sie meinte, ihre Teilnahme als Leiterin an dieser jahrelang vorbereiteten Frauenexpedition nicht an einem dummen Unfall scheitern lassen zu dürfen. Man möge jedoch nicht übertreiben - da lagen halt ein paar Steine mehr im Weg als sonst wahrgenommen.

46 Jahre ist sie nun, seit 1982 Profibergsteigerin, also unter anderem Werbeträgerin, Buchautorin und Filmemacherin. Ihre frühere Arbeit als Computer-Fachfrau mit abgeschlossenem Ingenieurstudium scheint sie nicht zu vermissen. Zukunftspläne? „Kennen Sie den Makalu?“ Natürlich ein weiterer Achttausender.

Nur einmal nutzte sie eine kurze Abkehr vom Alpinismus, um an Autorallyes teilzunehmen. Doch die Begrenztheit dieses Sports, ohne die Schönheit der Natur, weitgehend bestimmt von technischen Vorleistungen, reichte ihr nicht - und die Routen waren ja auch vorgegeben.

Daß die Berge ausverkauft werden, daß auch sie selbst eine gewisse Vorreiterrolle spielt für den auf Mediensensationen unweigerlich folgenden Run in die kalte Wildnis, ist ihr klar. Doch wenn die Leute, die heute eine Achttausender -Besteigung schon buchen können, sich ebenso sorgsam wie sie und ihre GefährtInnen verhielten, müsse es keine Gletscherkloaken und Müllplätze statt Basislagern geben. Darauf besteht sie. Andernfalls gäbe es ein Problem mehr, das auf dem Anmarschweg zu den Bergriesen zu verdrängen wäre.

Zum Abschied muß man sie nicht besonders bitten, einen baldigen Nachruf vermeiden zu helfen. Sie werde schon ihr Bestes geben, soviel sei sicher bei allen Unwägbarkeiten.

Rolf Richter

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