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Der Weg zurück ist jetzt versperrt

■ Die Demonstration am Alex und das „Aktionsprogramm“ der SED

In der DDR sind die alten Zustände nicht rückholbar. Die Kundgebung auf dem Alexanderplatz ist das unmißverständliche Signal der Gesellschaft, daß ein Kurswechsel in die Vergangenheit nicht hingenommen würde. Zugleich bedeutet die überraschende Verkündung des SED-„Aktionsprogramms“, daß sich auch innerhalb der Partei diejenigen durchsetzen, die erkennen, daß die rein taktisch kalkulierten Reaktionen auf die gesellschaftliche Bewegung keine Aussicht auf Erfolg haben.

Bei aller Skepsis gegenüber der Reformfähigkeit des Systems ist derzeit in der DDR kaum noch eine Konstellation vorstellbar, die die gesellschaftliche Dynamik abbremsen könnte. Zwar ist der Verweis der Skeptiker berechtigt, die alten Strukturen seien noch in Kraft. Dennoch taugt die Mahnung eher als Verweis auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen als auf eine mögliche Reaktivierung der alten Ordnung. Die Varianten, mit denen sich die Partei diese Option offenzuhalten suchte, sind unter dem Druck der Gesellschaft hinfällig geworden: Repression, verschwommene Zugeständnisse, dann die auf Befriedung kalkulierte Dialogoffensive haben den Umbruch beschleunigt, nicht verlangsamt.

So liegt das Dilemma der Partei darin, daß das politisierte Volk mit dem Ende seiner Unterordnung zugleich der SED die Chance nahm, mit bloßen Konzessionen neue Legitimität zu erkaufen. Der Herrschaftsmechanismus, der die moderaten Reformangebote als Großzügigkeit erscheinen lassen könnte, ist dahin, seit das Volk nicht als Bittsteller, sondern als Souverän auftritt. Jede erzwungene Aneignung gesellschaftlicher Forderungen durch die Partei wird von der Bevölkerung als Indiz eigener Stärke interpretiert und macht zugleich den Sinn ihres demonstrativen Engagements offenkundig. In ironischer Rollenverkehrung agiert die SED als Organ gesellschaftlicher Forderungen - bislang immer ein paar Schritte hinterher. Das Ende der atemberaubenden Dynamik, mit der die Partei sich von Woche zu Woche gezwungen sieht, die Grenzmarkierungen dessen zurückzustecken, was ihr im Sinne der Herrschaftssicherung vertretbar erscheint, ist nicht absehbar. Die Vehemenz, mit der sich der Umbruch vollzieht, entspricht der Absurdität der Ordnung, die jetzt demontiert wird.

Doch die Gesellschaft ist nicht auf die permanente Offensive abonniert und die Partei nicht zwangsläufig zum bloßen Reagieren verdammt. Der Überraschungscoup der SED vom Wochenende konnte die Demonstration nicht verhindern, aber er deutet einen Tempowechsel an. Setzte die Führung bisher vergeblich auf Zeitgewinn, könnte ihr jetzt die Flucht nach vorn ratsam erscheinen. Je schneller sie die ohnehin nicht zu umgehenden Reformprojekte angeht, desto größer sind ihre Chancen, bestimmenden Einfluß zu wahren. Dabei geht es ihr möglicherweise weniger um die inhaltliche Eingrenzung der einzelnen Reformschritte als darum, sich als grundsätzlich reformfähige gesellschaftliche Instanz zu präsentieren.

Die neue Strategie setzt auf positive Irritation. Wenn überhaupt, so liegt hier die Chance der SED, ihre Ausgangsposition für die eigentliche Auseinandersetzung um zukünftige Wahlmodalitäten und die Führungsrolle zu verbessern. Angesichts der eingestandenen programmatischen und organisatorischen Schwächen der Opposition könnte die Partei mit konsequenten punktuellen Reformschritten im Alleingang gesellschaftlichen Boden gutmachen. Die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Opposition, die bereits jetzt in die Auseinandersetzung um die Führungsrolle der Partei eingebracht werden, deuten die Möglichkeit an, daß das neue Kalkül der SED aufgehen könnte. Die Reformoffensive ist unumkehrbar, ihre Reichweite bleibt offen.

Matthias Geis

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