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Frauenrechtlerin, Pädagogin und Kochbuchautorin

■ Aus dem Leben und Wirken der Bremerin und „innigen Freundin“ Betty Gleim (1771 - 1827) / Heute abend Vortrag

Die „Bremische Biographie“ empfiehlt seit 1906, die Nachwelt möge von Frau Betty Gleim tunlichst nichts als ihr Kochbuch in Erinnerung behalten. Unsere Gastautorin Elisabeth Meyer -Renschhausen kramte dennoch im weiteren Nachlaß der vielseitigen Betty Gleim und empfiehlt sie als Ahnherrin der hanseatischen „Frauenrechtlei“ und Frauenfreundschaft. Lesen Sie selbst:

Betty Gleim wurde 1771 in Bremen geboren, in einer der wenigen Vermögensabgaben zahlenden Familien. Ihr gutsituierter Vater war Weinhändler. Schulbildung gab es damals - zumal für Mädchen - noch kaum. Als Betty 18 war, versetzte die Französische Revolution auch jenseits des Rheins viele BürgerInnen in begeisterte Aufregung. Betty Gleim stürzte sich in ein Studium von Montaigne und Bacon, von Rousseau und Pestalozzi. Als ihr Vater früh zu kränkeln begann und abzusehen war, daß das Vermögen der Familie für die Schwestern nicht reichen würde, kündigte sie an, sich nunmehr dem „Geschäft der Erziehung“ widmen zu wollen. Als der Vater 1806 starb, eröffnete sie im selben Jahr eine Schule für Mädchen im Alter von 4 - 16 Jahren.

Da Betty Gleim mit ihrem pädagogisch gut begründeten „Lextionsplan“ Anerkennung fand, hatte sie 1812 bereits 80 Schülerinnen. Weil sie sich von der Schule ernähren mußte, war das Schulgeld relativ hoch. Bettys drei Mitarbeiterinnen waren zwei

ebenfalls Alleinstehende und eine Lehrerwitwe.

Die vier Frauen - und das war in Norddeutschland noch völlig neu - unterrichteten nach der Methode des Pädagogen Pestalozzi und stopften die Mädchen nicht mit verkürztem Wissensstoff voll. Auch fiel Betty Gleims Schule auf, weil sie eine „humanistische“ Bildung auch für Mädchen anstrebte.

Vor allem aber schrieb Betty Gleim Bücher. Zunächst zwei zweibändige Werke, in denen sie für eine vernünftige Schul und Berufsbildung von Mädchen plädierte, damit diese soviel Wissen erwerben könnten, daß sie nicht unbedingt heiraten müßten, sondern sich ihren Unterhalt selbst verdienen könnten. Obwohl sie wegen des „natürlichen Empfindens der Frauen“ nicht für die weibliche Arbeit in der Politik eintrat, griff sie viele gesellschaftspolitische Themen auf. Die Mädchen lernten bei ihr sogar Geographie und Physik und lasen die „demokratischen Franzosen“. 1908 veröffentlichte sie ein Lesebuch mit deren Texten und anderen damals aufsehenerregenden Schriften, wie die der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft.

Betty Gleim befolgte Pestalozzis Rat und führte an ihrer Schule das neuartige Fach „Deutsch“ ein. Auch schrieb sie eine „deutsche Grammatik“, damit hatte sie sich jedoch über die Grenze des für Frauen damals Erlaubten hinausgewagt. Sie mußte außerordentlich derbe Kritik ihrer Kon

kurrenten hinnehmen.

Trotz ihrer Bedenken gegen Frauen in der Politik beteiligte sie sich 1813/14 mit zwei Schriften an der „nationalen Erhebung“ gegen die napoleonische Besatzung. Beim Verteilen selbstgefertigter Flugschriften für die „Befreiung“ geriet die wütende Franzosenhasserin in die Fänge der Gendarmerie.

Trotz der vielfachen Anerken

nung ihrer Arbeit kam es zu Konflikten mit den BremerInnen. Der Anlaß: Ihre umstrittene Mitarbeiterin und enge Freundin, „Madame Aubertin“. Diese wurde als Intrigantin diffamiert, als sich zwischen ihr und den Eltern ihrer Schülerinnen bis heute nicht ergründbare Unstimmigkeiten ergaben. Betty Gleim wurde aufgefordert, „die A.“ (wie die Bremer Chronisten die Freundin aus

schließlich bezeichnen) zu entlassen, konnte sich dazu aber nicht entschließen. Sie gab daher die Schule an eine Kollegin ab und ging mit der Gefährtin auf Bildungsreisen, bevor sie in Elberfeld eine ähnliche Schule wie in Bremen gründete.

Aber wieder ergaben sich Konflikte zwischen der Miterbeiterin Aubertin und Eltern, und wiederum gab Betty Gleim lieber die Schule auf, als die Freundin zu entlassen. Auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten mußten die Freundinnen sich schließlich „unter Schmerzen“ trennen.

Betty Gleim besuchte maßgebliche Pädagogen und Pestalozzianer. Sie erfuhr von der Erfindung der Lithographie und beschloß, die „Steindruckkunst“ bei dem Erfinder selbst in München zu erlernen. Sie hoffte, damit jungen Bremerinnen ein handwerkliches Berufsfeld eröffnen zu können. 1819 erhielt sie die erste in Bremen vergebene Konzession, eine „Lithographische Anstalt“ in der Bornstraße eröffnen zu dürfen. Aber die Bremer Kaufleute und Hausfrauen schickten ihre Töchter nicht in Bettys Lehrwerkstatt. Im Oktober 1819 fing sie daher mit 50 Schülerinnen erneut als Erzieherin an. Mit Übernahme dieser dritten Schule löste sich die Freundschaft zwischen ihr und der Aubertin. Ihre Mitarbeiterin und enge Freundin wurde nun „Fräulein Sophie Lasius aus Oldenburg“. August Kippenberg war noch 1870 ganz gerührt von dieser Frauenfreundschaft:

„Das wechselseitige Verhältnis beider gestaltet sich bald zur innigsten Seelengemeinschaft. Stets einer vertrauten Herzensfreundin bedürftig, schloß sich Betty der Sophie Lasius mit einer Inbrunst an, die in einem noch erhaltenen Brief den lebhaftesten Ausdruck schwärmerischer Jugendfreundschaft annimmt. Beide waren fast nie getrennt.“

Aber Betty wurde bald krank und mußte sich aus dem aktiven Schulleben zurückziehen. Der Tochter einer Freundin riet sie ab, Lehrerin zu werden: der Beruf sei zu beschwerlich und das Leben als Lehrerin allzu kümmerlich. Sie starb bald darauf, 1827, „in den Armen der so innig geliebten Freundin.“ - Ihr Bremer Kochbuch dürfte sie geschrieben haben, um über ihre ständigen finanziellen Engpässe hinwegzukommen. Dies den „Bremer Biographen“ von 1906 zum Gedächntis, die vermutlich noch nicht einmal Betty Gleims Kochrezepte zu lesen, geschweige denn in schmackhafte Speisen umzusetzen vermochten.

Elisabeth Meyer-Renschhausen

Heute, Dienstag abend, referiert Prof. Dr. Wiltrud Drechsel über „Betty Gleims Theorie einer Bildung des weiblichen Geschlechts“. Mensa der Hochschule, Neustadtswall 30, 20 Uhr.

Weiteres dazu siehe: Elisabeth Meyer-Renschhausen, Weibliche Kultur und soziale Arbeit - Eine Geschichte der Frauenbewegung am Beispiel Bremens 1810 bis 1927, Köln/Wien 1989.

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