: Von der Unsittlichkeit einer Politik
■ Zur bevorstehenden Veröffentlichung der Erinnerungen von Walter Janka in der DDR
Walter Janka, Spanienkämpfer und nach dem Krieg Leiter des Aufbau-Verlages, wurde 1957 als Konterrevolutionär verurteilt, brachte Jahre in DDR-Gefängnissen zu. Sein Bericht über den Prozeß, der ihm gemacht wurde, erschien vergangenen Monat bei Rowohlt. Nach einer öffentlichen Lesung vor vierzehn Tagen - sie wurde vergangenen Sonntag wiederholt - hieß es, Jankas Erinnerungen würden demnächst beim Aufbau-Verlag in Ost-Berlin erscheinen. Ein Lektor des Verlages schreibt, was er davon hält.
Die Metamorphosen des Schreckens führen zu Verwandlungen der Utopie. Jankas Buch wird in der DDR aus einer gespenstischen Stummheit hinüberleiten in eine Verständigung, die wohl nicht „wendig“ wird, aber radikal in noch nicht bestimmbarer Dimension. Die Publikation der Schwierigkeiten mit der Wahrheit ist mehr als das Leidig-Schwellensenkende; mit ihr wird das erste wirkliche Glas vom ideologisch Eingemachten geöffnet. Nach wie vor gibt es keine öffentliche Diskussion über den Stalinismus, den 17.Juni, die beispiellos-exemplarischen Justizverbrechen. Die (Ideologie-) Geschichtsschreibung in der DDR hatte mit der Vorstellung vom „Tauwetter“ seit mehr als drei Jahrzehnten das bekannte Gewissenskissen gefunden; die Realität hingegen verhielt sich zu ihren politischen Chronisten stets bösartig gegenläufig.
Immer, wenn es in Moskau Frühling zu werden drohte, gefror es hierzulande sehr gründlich, ein nicht beachteter, aber möglicherweise wichtiger Aspekt „Deutsch-Sowjetischer Freundschaft“. Immer schufen Tendenzen der Liberalisierung in Moskau Irritationen - und in der Folge Überreaktion - in Ost-Berlin. Dies war nach dem XX.Parteitag nicht anders als nach 1985, unterschiedlich nur in den äußeren Formen der (un -)gesetzlichen Exekution. Als Chrustschow mit Stalin abrechnete, war Ulbrichts politisches Schicksal ein zutiefst ungewisses, und so öffneten sich wohl im Jahr 1957 viele Gefängnistore, wenngleich in verschiedene Richtungen.
Zu denen, welche neben E.Loest, H.Brandt, R.Herrnstatt, W.Harich und vielen anderen mehr von ihresgleichen in Gewahrsam genommen wurden, gehörte auch Walter Janka, und daß die genannten Köpfe nicht rollten, verdanken sie weniger politischem Kalkül als vielmehr der allzu großen Nähe vorangegangener Geschichte.
Dennoch verbrachte (die Worte „er verbüßte“ wären sittlich illegitim) man den damaligen Leiter des Aufbau-Verlags fünf Jahre in verschärfte Einzelhaft an so geschichtsträchtigen Orten wie Lichtenberg und Bautzen. Fast die vierfache Zeit seiner Haftstrafe im Dritten Reich, wohl die bitterste Demütigung des Kommunisten durch die Nomenklatura der Parteiführung. Nicht weniger bitter der Abfall vom Glauben, den Autoren wie Becher (nun ja, „Dichter und Minister“, „Geist und Macht“ usf.), Seghers (die alte „Gefährtin“ aus Exiljahren im mexikanischen El Libro Libre) u.a. demonstrierten, als sie ihren Verleger fallen ließen wie die berühmte heiße Kartoffel.
Daß er 1960 nicht zuletzt durch Intervention von Autoren wie Arendt, Zweig, H.Eisler freikam, nimmt unserer a -sozialen Geschichte nur wenig von ihrer schmachvollen Härte. Die besteht fort in der kryptischen Unsittlichkeit einer Politik, die sich nicht immer weigert, Janka offiziell und in aller Form zu rehabilitieren. Zweifellos gibt es keine überzeugendere Entschuldigung als eine Veranstaltung, auf der im deutschen Theater drei der für die politischen Erben unerträglichsten Kapitel vorgestellt wurden. Stille und Beklemmung wie die nicht enden wollenden Schlußovantionen sprechen ihre eigene Sprache.
Dennoch besteht die ethische Minimalvoraussetzung uneingelöst fort: eine Entschuldigung durch die Schuldiger, die nur ein öffentliches Eingeständnis des damaligen Justizverbrechens leisten kann. Denn die Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens kann selbst Unbekümmertheit nicht für die Ironie der Geschichte halten, sondern allenfalls für den Sarkasmus ihrer Verwalter.
Tilo Köhler
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