: Delicious. Golden und Rot
Apfelernte im italienischen Val di Non (Trentino): Monopoly der „freien Marktwirtschaft“ ■ Cletus Ossing und Elena Giovannini
Rocchetta“ heißt „kleiner Felsen“, aber im übertragenen Sinn auch „kleine Festung“. In der Rotaliana, der Landschaft knapp südlich der Zweisprachengrenze und nördlich der Provinzhauptstadt Trento bei Mezzolombardo, ist „Rocchetta“ die Bezeichnung für den engen Taleingang zum Val di Non. Durch eine Schlucht von noch nicht mal 300 Metern Breite weht ein beständiger Wind, hervorgerufen durch die komplexen Effekte des Berg-Talwindsystems. Dieser Wind bringt im Herbst einen kräftigen Duft von Äpfeln mit sich, und sobald man sich durch die enge Schlucht in das sich dann erweiternde Tal reingezwängt hat, sieht man auch sofort, woher der Geruch kommt: Bis an die Waldregion des Gebirgsmassivs der Brenta machen sich Quadratkilometer von Apfelbäumen breit. Überall ist das Tuckern der Traktoren zu hören, die plastikgrüne Apfelcontainer auf dem Kreuz haben. Lkws voller Obst dröhnen laut über enge Serpentinen hangabwärts. Neben der Provinz Südtirol ist dieses Gebiet des Trentino eine der Hauptregionen des Apfelanbaus. Die Südalpen geben ein hervorragendes Klima her für die „pomi“, wie die Äpfel hier im Dialekt heißen.
Neben dem Klima spielen aber Herbizide, Pestizide, Fungizide, alle Errungenschaften der chemischen Industrie eine nicht geringe Rolle. Im Frühjahr stehen während der Apfelblüte noch Bienenkörbe zwischen den Bäumen. Direkt nach der Blüte werden die Bienenhäuschen aber weit weg von den Äpfeln hinauf in den Bergwald gebracht, denn die chemische Keule, die auf die Apfelbäume niedergeht, würde selbst eine kampfkräftige Killerbiene aus Südamerikas Dschungel nicht überleben. Der hübsche optische Eindruck der Apfelblüte täuscht: Monokultur wird hier betrieben, Apfelbäume überall. Wie jede Monokultur ist auch diese anfällig gegen alles Mögliche. Und dagegen wird alles Mögliche auf die Bäume gespritzt. Arbeitskraft und Apfelsorten
Signore Luciano, Apfelbauer, schätzt, daß zwei Drittel der Apfelbäume „Golden Delicious“, den Wasserapfel aus dem Kaufhaus, tragen. Der Rest ist „Red Delicious“, hier „Stark“ genannt, „Kanada-Renette“ (oder auch einfach „Kanada“) und ein roter Apfel namens „Starking“.
Jeder Apfel ist bares Geld. Beim Pflücken muß peinlich darauf geachtet werden, daß der Stengel dran bleibt und der Apfel nirgendwo anstößt. Freundin Daria hat das über Jahre gemacht, man muß die Tricks kennen: Den Apfel leicht gegen den Stengel drücken und ein wenig drehen. Dabei nicht zu feste drücken. Aber es gibt zu wenig Arbeitskräfte, die diese Knochenarbeit machen wollen. Seit ein paar Jahren findet man hier das Bodensegment des Arbeitsmarktes, Leute ohne Arbeitserlaubnis oder gar ohne Aufenthaltserlaubnis, vor allem aus Nordafrika (die hier, egal woher sie kommen, allesamt „marocchini“ genannt werden). Es ist ein nicht geringes Risiko, diese Menschen unversichert und daher billig einzustellen. Im ganzen Tal werden Geschichten erzählt, wie der Nachbar oder man selbst von der Guardia di Finanza erwischt wurde und was das kostet. „Aber Arbeit ist teuer“, sagt Luciano, andere Arbeitskraft zu diesem Preis gibt's nicht, und die EG-Konkurrenz drückt heftig. Nicht, daß hier bittere Armut für die Bauern herrscht, im Gegenteil, aber Preise sind Preise, und so verwundert es nicht, wenn beim Kaffeetrinken in der Bar von Flavon ein farbiger Zeitgenosse mit afrikanischem Akzent einem etwas über Äpfel aus Norditalien erzählt.
Was es da zu erzählen gibt: zum Beispiel, welches hier die teuersten und besten Äpfel sind. Unangeschlagen an der Spitze steht der rote Starking, ein Apfel mit fester Hülle und bissigem Fleisch, den wir blankpoliert und glänzend zu Nikolaus oder Weihnachten in den Mund nehmen. Oder, daß der ebenfalls recht gut bezahlte Renette hier durch den schnellwachsenden Golden Delicious ersetzt wird, ein Kunstapfelbaum, der bereits nach zwei Jahren die ersten Äpfel trägt, während Renette-Bäume 15 Jahre bis zum Ertrag wachsen müssen. So sterben Apfelsorten aus: Einerseits verdrängen die schnell Ertrag bringenden Sorten die langsamer wachsenden, andererseits ist trotz Ökobooms in den Kaufhäusern der nach nichts schmeckende, aber hübsch aussehende Golden Delicious immer noch kräftig gefragt. Angebot und Nachfrage sägen somit ganz synergetisch am Stamm der Apfelsorten, die in diesem Monopolyspiel der freien Marktkräfte nicht mithalten können. Die Ernte
Es ist nun durchaus nicht so, daß jeder Bauer nach Gutdünken Gift und Pulver auf die Bäume feuern darf. Die Kontrolle über den Gifteinsatz wird von Agrartechnikern, die in den Kooperativen arbeiten, ausgeübt, studierten Landwirten, die auf jede Laus und jeden Pilz ein Gegenmittel wissen. Etwa zwei Wochen vor dem Pflücken ist jedoch die Chemiespritzerei vorbei, dann darf nicht mehr gegiftet werden, weil sonst Äpfel und ArbeiterInnen (in der Reihenfolge) bei der Ernte Schaden nehmen könnten.
Während Starking-Äpfel auch bei feuchtem Wetter geerntet werden können, haben Golden Delicious und Renette eine so empfindliche Schale, daß sie, feucht gepflückt, sofort Druckstellen haben. Sie werden also, wenn eben möglich, bei Sonnenschein geerntet.
Bereits beim Pflücken werden die Äpfel nach Sorte, Größe und Aussehen vorsortiert. Es gibt dazu eigens ein Aluminiumbrett mit Löchern von bestimmten Durchmessern für jede Sorte. Das ist der einfachere Teil der Sache. Den fachkundigen Blick, ob Hagelschlag, Insekten oder Pilzsporen dem Apfel ein Leid angetan haben, den haben nur Fachfrauen, die nicht pflücken, sondern nur begutachten. Die Ernte in der Scheuer
Was passiert mit den Äpfeln nach der Ernte? Zunächst landet der größte Teil der jährlich über zwei Millionen Zentner in den „magazzini ortofrutticoli“, großen Lagerstätten, die in fast jedem Dorf von den landwirtschaftlichen Kooperativen betrieben werden. Von jedem Bauern wird eine Stichprobe seiner vorsortierten Äpfel genommen. Von 60 Holzkisten a 15 Kilogramm, in denen Renette und Stark ankommen, wird je eine willkürlich ausgewählt (bei Golden Delicious einer von je 20 der großen giftgrünen Plastikcontainern von etwa zwei Zentner). Diese Stichprobe wird benutzt, um die gesamte Ernte des jeweiligen Bauern zu beurteilen, und davon hängt ab, wieviel Lire er für alle seine Äpfel bekommt.
Dann werden die Äpfel teils in Klimakammern in Kälte und ohne Sauerstoff gelagert, teils direkt verkauft und teils als Industrieapfel für Apfelsaft, Spiritus und Essig verscherbelt, je nach Lage des Marktes: Gibt's viele Äpfel, wird soweit wie möglich sofort verkauft, um die Ernte loszuschlagen. Normalerweise aber wird der größte Teil der Ernte eingelagert und bis zum Frühjahr verkauft. Das heißt nun wiederum nicht, daß in den Wintermonaten nichts zu tun wäre. Zwar haben die Bauern bereits bei der Ernte die Äpfel vorsortieren lassen, aber gemogelt wird überall. Daher wird im magazzino während des Winters Kiste für Kiste, Container für Container nachkontrolliert. Dies ist harte Knochen- und vor allem Frauenarbeit. Die Äpfel der besseren Sorten (Starking und Renette) werden dabei teilweise extra behandelt, gewachst und, in Zellophan konfektioniert, an den Einzelhandel abgegeben. Entsprechend den Wolfsgesetzen der Ökonomie sind diese Frauen arbeitslos, wenn im Herbst/Frühwinter schon die ganze Ernte losgeschlagen wurde. Die Kooperativen
Die Kooperativen hier, die Produktion und Handel organisieren, sind durchweg christdemokratisch orientiert (“cooperative bianche“) und gehen als Organisationsform der Landwirte bis auf das vorige Jahrhundert zurück. Ursprünglich waren es Selbsthilfeorganisationen gegen Wucher und Preisdrückerei, vergleichbar mit den Raiffeisenbanken und deren Kooperativen im Deutschland des vorigen Jahrhunderts. Heute ist das Ganze eine geballte wirtschaftliche Macht. Im Trentino geht ohne die Kooperativen nichts, in allen Bereichen des ökonomischen und öffentlichen Lebens findet sich die Kooperativbewegung wieder, von der Produktion über Konsumgenossenschaften bis hin zu Behindertenwerkstätten. Diese Verankerung im Alltagsleben des Trentino ist der Grund für die Stabilität der Christdemokratie in dieser Region.
Trotzdem, auf Beschluß des Gemeinderates steht auf den Ortsschildern von Denno ganz offiziell: „Denno, comune libero di insediamenti nucleari“ (“Denno, Gemeinde frei von nuklearen Einrichtungen“), und Denno hat ein echtes (wenn auch häßliches) Friedensdenkmal und eben kein Kriegerdenkmal. Auch Mezzolombardo am Taleingang hat auf dem Ortsschild „comune denuclearizzata“ stehen, und in Trento liegt die Wiege der italienischen Grünen. Politisch ist die Gegend – auch wegen der Nähe zu Südtirol – alles andere als langweilig.
Wenn man Zeit hat, sich um Politik zu kümmern. Während der Apfelernte könnte hier die gesamte DDR über Ungarn nach Rom pilgern, das würde in dieser Zeit kaum auf große Beachtung stoßen. Schließlich geht es um das Jahreseinkommen der Apfelbauern, und darüber wird heftig diskutiert, vor allem in den langen Traktorschlangen, die sich bis abends vor den magazzini bilden. Wem die Geschichte von Adams Apfel und Eva im Religionsunterricht wegen des Preisleistungsverhältnisses schon unglaubwürdig schien (wer gibt schon ein Paradies für einen Apfel her?), der kann sich hier belehren lassen, wie man zwar kein Paradies, aber doch gutes Geld mit Äpfeln verdienen kann.
Während der obere Teil des Val di Non wegen der Nähe zu Madonna di Campiglio eher touristisch orientiert ist (was an den Feiertagen zu einem riesigen Autostau an der Rocchetta führt), ist der mittlere und untere Teil des Tales von den ewig gut gelaunten und entsprechend lautstarken Touristen aus Nord- und Mittelitalien einigermaßen verschont. Dies erhält den durchweg kleinen Dörfern im Tal ihre ursprünglichen und durchaus intakten Ortskerne; keine Diskotheken namens „Galassia“, in der ein Mailänder über seine Bergsteiger- oder Skikünste schwadroniert, sondern die „Bar in piazza“, in der man rotweintrinkend etwas über die Gegend und ihre Leute hören kann. Und über Äpfel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen