: Coca Cola oder Hegel?
Udo Knapp (Grüne): Die Mauer ist weg, die Grenze muß bleiben ■ D E B A T T E
Es gibt auch für die DDR keine andere wünschenswerte Alternative als eine soziale und demokratische Marktwirtschaft, die aber von Anfang an die Chance einer ökologischen Modernisierung in ihre neu entstehenden wirtschaftlichen Grundstrukturen einbaut. Die DDR ist im Stadium einer Übergangsgesellschaft offenbar ohne Theorie und Konzept. Ob es ihr mit beidem besser ginge, bezweifle ich. Die einzige Ressource, über die die DDR vorläufig selbst verfügt, das ist der „revolutionäre“ Wille ihrer Opposition, einen eigenständigen Weg zu beschreiben.
Die DDR braucht nicht so sehr Devisen und Kredite - sie braucht vor allem Zeit, weil sonst unter dem Druck der Verhältnisse Entwicklungen angeschoben werden, die unumkehrbar sind. Deshalb muß die Grenze bleiben, sie verschafft die Zeit, die die DDR jetzt braucht.
Daraus folgt zum Beispiel Reisefreiheit für die DDRler und ein unbefristetes Einreiseverbot für die Gewinnler des bevorstehenden DDR-Wirtschaftswunders. In der wohl historischen Mauer-taz vom Sonnabend war davon nichts zu lesen. Der erste Interpretationsversuch von Klaus Hartung lautet: „Sie waren die schlimmsten Vertreter des siegreichen Sozialismus, sie sind würdige Verlierer“.
Ist etwa Wasserträger Krenz kein moralischer Kretin mehr? Worin besteht denn eigentlich seine Würde, darin, daß er nicht auf die Monopolisierung der Regierungsmacht verzichtet? Was die taz uns als ihre Würde andient - der Fall der Mauer - ist so herrlich wie immer nur Sylvester nach 28 dunklen Jahren sein kann, aber eben auch der verzweifelte Versuch, ihre nur durch Stalin legitimierte Macht zu erhalten und die unglaubliche Dynamik der Opposition in der DDR zu brechen.
Warum soll es für eine „Deutsche Nation“ einen Neuanfang geben?
Weder die DDR noch die BRD können sich mit rhetorischem Getöse ins Jahr 1949 zurückversetzen. Das Problem stellt sich anders: Wie können die Menschen in der DDR verhindern, von dem übermächtigen, von der Bundesrepublik ausgehenden Sog verschluckt zu werden?
Gerade dadurch, daß sie sich zuallererst ein, ihr parlamentarisches pluralistisches Parteiensystem aufbauen. Was denn sonst? Nur so wird politische Öffentlichkeit hergestellt, damit die jetzt existentiellen Fragen der Übergangsgesellschaft formuliert, offengelegt und entschieden werden können.
Wer und wie sonst soll z.B. über die Auflösung der 224 Kombinate, das Herzstück der DDR-Planwirtschaft entschieden werden? Hartung, wie ich besoffen und eifersüchtig auf nun acht Wochen Volksaufstand, erfindet eine Wiedervereinigungsvariante andersrum. Ich frage mich, ist die phantasmagorische Vorstellung, daß sich am Ende die sich demokratisierende DDR die BRD anverwandelt, nicht nur eine andere Seite der Kohlschen Wiedervereinigungshoffnungen?
Aushalten der Differenz zwischen uns und denen, und nicht Vereinheitlichung von welcher Seite auch immer, das ist die richtige Politik.
So wie Lenin und seine Bolschewiki, die Chance ein alternatives Gesellschaftssystem zum Kapitalismus zu entwickeln nur für wenige Jahre hatten, so bleiben der DDR vermutlich nicht einmal Jahre, sondern nur einige Monate.
Alternativen bieten sich an: Coca Cola oder Hegel, beiden gilt es auszuweichen.
Coca Cola steht für die sich abzeichnende Koalition zwischen Krenz, Kohl, Lafontaine/Momper und Reuter/Herrhausen, eine sozialdemokratisierte Modernisierungsvariante, die auf eine um 40 Jahre verschobene Wiederholung des westdeutschen Wirtschaftswunders setzt und der Garant für die Machterhaltung der Krenz-Kumpane ist.
Was im übrigen, für uns vielleicht schlecht zu ertragen, für die Menschen in der DDR jedenfalls mit Abstand besser wäre, als das was sie jetzt haben.
Hegel steht für die Vorstellung, die auch viele Grüne teilen, die sittliche Idee des Guten, die nur im Staat per se sich verwirklichen will und muß. Seit 1789 wiederholt sich in tragischer Weise dieselbe Erfahrung: Die im Namen des Guten politisch Handelnden werden zu Exekutoren des Terrors oder bestenfalls einer Erziehungsdiktatur. Das ängstliche Beharren auf der historisch erledigten sozialistischen Frage in der West- und Ost-Opposition zeigt die Verführungskraft, die in der Variante Hegel immer noch liegt. Aber schon Heisenberg wußte „Man soll eine politische Bewegung nie nach ihren Zwecken, sondern immer nur nach ihren Mitteln beurteilen“.
Alles deutet darauf hin, daß die Coca-Cola-Variante auf der Siegerstraße ist.
Bis jetzt hatten die DDRler nur eine eklig schmeckende Ersatz-Cola und Hegel pur, vielleicht kriegen sie jetzt Original-Coca-Cola im Übermaß. Wie kriegt man das bloß hin, das Übermaß an Hegel vom Rücken kriegen und nicht an Coca Cola ersaufen? Das Reden vom Traum der Großen Freiheit, das ich selbst so liebe, ist darauf allein jedenfalls keine Antwort.
Ich wünsche mir sehr, daß Freya Kliers DDR, ihre Brausetablette, nicht ins BRD-Wasserglas fällt.
Darüber würde ich gerne mit meinen Freunden aus der DDR und ganz vielen Grünen auf unserem Strategiekongreß am nächsten Wochenende in Saarbrücken reden.
Udo Knapp
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