: Freiheit, die ich meine...
■ Die nicht-deutschen Berliner und der gesamtdeutsche Jubel /„Türken werden jetzt drüben gebraucht zum Kohlenschippen“ / Ausländerfeindlichkeit hüben und drüben
Berlin (taz) - Die Mauer ist durchlässig geworden, und ganz Berlin freut sich. Ganz Berlin? Auf einem Bahnsteig im U -Bahnhof Zoo steht eine Gruppe junger Deutscher, so um die 30 Jahre alt - Ostberliner und Westberliner zum Gruppenfoto.
Fünf junge Türken bahnen sich einen Weg durch die Menge, einer von ihnen pfeift verlegen. „Die sehen, daß sie hier jetz nichts mehr zu sagen haben. Die sollen bloß still bleiben.“ - „Kanaken raus!“ - „Türken werden jetzt drüben gebraucht zum Kohlenschippen.“ Anderswo in der U-Bahn: „Lieber gebe ich 100 Mark an meine Landsleute als nach Mombasa.“ - „Der Italiener und der Spanier will nur unser Geld.“ Diese Sprüche sind nicht die Regel, aber sie sind zu hören inmitten des allgemeinen Staunens über türkische Kebab -Drehspieße und griechische Kalamaris-Künste.
Unsicherheit ist manchen anzusehen, die Berliner sind, aber sich als Nichtdeutsche kaum in die Begegnung der Teilstädte einbezogen fühlen dürfen. Sie können nicht wissen, ob sie zur gemeinsamen Feier dieser Stadt geladen sind, auf der „Einigkeit und Recht und Freiheit“ besungen werden.
A. und N., türkische Jungen aus Neukölln, gehen in diesen Tagen nicht mehr allein des Nachts auf die Straße. Sie fürchten sich vor dem Vereinigungsrausch ihrer deutschen Mitbürger. Ich frage einen Deutschen aus Gera, der für die „Wiedervereinigung“ eintritt: „Glaubst du, daß die Ausländerfeindlichkeit dann zunimmt?“ Bedauern und Rechtfertigung, eine Aufzählung all der Stereotypen, die auch im Westteil der Stadt geläufig sind, erhalte ich zur Antwort.
„Die bekommen wirklich Zucker in den Arsch geblasen bei uns.“ Arbeiten tun sie dort natürlich nicht. „Wenn man dann was sagt...! Du schwarze Sau, heb‘ endlich mal deinen Arsch hoch und mach was!... Der is‘ sich beschweren gegangen, da hast'n Verweis reingeknallt gekriegt.“ Die Ausländerfeindlichkeit hüben wie drüben kennt nur ihr „die“ und „wir“.
Einige Millionen Menschen haben eine Freiheit gewonnen; „die Freiheit“, die im Mut zum Vertrauen und gegen eigene Ängste und Selbstverständlichkeiten zu erlangen ist, ist das nicht.
Rebekka Blume
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