: Chance für „Trittbrettfahrer“
■ Ladendiebstähle am Wochenende in Kaufhäusern und Supermärkten / Geklaut wurde bei Karstadt und Bilka / Ein Kaufhausdetektiv berichtet
Das Menschengetümmel in der City hat sich am vergangenen Wochenende natürlich so mancher Taschen- und Ladendieb zunutze gemacht, um schnell mal zuzulangen. Die Polizei verzeichnete im Innenstadtbereich ein „erhöhtes Aufkommen von Anzeigen“, konnte dazu aber noch keine näheren Angaben machen. Eine Umfrage der taz unter Kaufhäusern und Geschäften förderte zutage, daß vor allem bei Karstadt in der Wilmersdorfer Straße und bei Bilka am Zoo erhöhte Ladendiebstähle festgestellt wurden. Nach Angaben des Karstadt-Geschäfstsleiters Singer wurden in der besagten Filiale am Samstag 65 Ladendiebstähle aufgedeckt, normalerweise sind es nur um die 15. Im Gegensatz zu Bilka hat Karstadt in allen Fällen Anzeige erstattet. Betroffen davon waren Singer zufolge aber keinesfalls nur DDR-Bürger, sondern auch auch etliche Westberliner, die die Situation nutzten, um als „Trittbrettfahrer“ abzusahnen. Andere Erfahrungen hat hingegen der Chef des KaDeWe, Stratmann, gemacht: „Wir haben keinen einzigen Ladendiebstahl festgestellt.“ Als Grund führte er an, daß „die Fülle“ des Hauses dazu geführt habe, daß „der eine auf den anderen aufpaßt“. Auch bei Wertheim wurde nach Angaben des Geschäftsführers Engeln kein einziger Ladendiebstahl registriert. Engeln glaubte, daß die DDR-Bürger von dem „Riesenangebot“ einfach verunsichert seien und sich nicht trauten. Ob und wie viele Waren weggekommen sind, werde erst die Jahresbilanz erweisen. Bei Hertie in der Wilmersdorfer Straße wurde gleichfalls kein Ladendieb geschnappt, wie Geschäftsleiter Henning gestern versicherte. Der Geschäftsführer der Kaisers-Supermarktkette, Lavallee, vermutete zwar, daß in den Filialen geklaut wurde, aber erwischt worden sei niemand. Auch bei Kaffee Reichelt wurde an diesem Wochenende kein einziger Ladendieb geschnappt.
Im folgenden ein Interview mit dem Chefdetektiv von Bilka am Zoo, Erdogan Daglas, der am vergangenen Wochenende mächtig auf Trab war.
taz: Nach Angaben der Geschäftsleitung von Bilka am Zoo wurde am vergangenen Freitag und Samstag viel mehr geklaut als sonst. Können Sie als der Chefdetektiv des Hauses konkrete Zahlen nennen?
Erdogan Daglas: Wir haben am vergangenen Samstag 32 Festnahmen wegen Diebstahl gehabt. Freitag waren es 42.
Waren das alles Bürger aus der DDR, oder wurde die Situation auch von Westberlinern zum Diebstahl genutzt?
Es waren auch polnische und Westberliner Bürger, aber die meisten kamen aus der DDR.
Was haben Sie mit den DDR-Bürgern gemacht?
Wir haben ihnen die Ware weggenommen, Hausverbot erteilt und sie laufenlassen.
Warum wurde im Gegensatz zu sonst keine Anzeige erstattet?
Wir haben sie aus Menschlichkeit laufenlassen, weil sie drüben vielleicht wegen einer Anzeige Probleme bekommen hätten. Außerdem war es hier im Laden so voll, daß wir befürchtet haben, daß in der Stunde, in der wir mit den Festgenommenen auf die Polizei warten, noch mehr gestohlen wird. Darum haben wir nur bei großen Diebstählen Anzeige erstattet, es waren aber nur wenige. Wir haben aber von allen Personen, die wir erwischt haben, die Personalien aufgenommen und sie darauf hingewiesen daß sie Probleme bekommen, wenn sie hier noch einmal auftauchen.
Hatten Sie mit den DDR Bürgern Mitleid?
Ja sicher.
Wie haben die Erwischten reagiert?
Sie waren traurig und haben sich sehr bedankt.
Was wurde am meisten geklaut?
Kosmetikartikel, Elektrosachen, Damenunterwäsche, Herrenbekleidung, alles mögliche.
Ab welcher Größenordung kam es zur Anzeige?
Zum Beispiel bei einem Radio, das 230 Mark gekostet hat.
Wie sehen Sie dem kommenden Wochenenden entgegen?
Wir brauchen auf jeden Fall Verstärkung.
plu
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