DDR-Wirtschaft soll das Geld entdecken

Wirtschaftsprofessor empfiehlt im 'Neuen Deutschland‘ „Entfaltung der Ware-Geld-Beziehungen“ / Zentrale Planung dürfe nicht preisgegeben werden / Rückzug des Staates wäre „Rückfall in Kapitalismus“ / Unternehmungsgeist soll dennoch aktiviert werden: Aber wieviel Raum bleibt für Selbständigkeit?  ■  Von Prof. Dr. Karl Morgenstern

Die Problematik in der Wirtschaft kulminiert in der Verletzung ökonomischer Gesetze - der Ökonomie der Zeit, der proportionalen Entwicklung, des Wertgesetzes, des Verhältnisses zwischen Entwicklung der Arbeitsproduktivität und Lohn/Einkommen sowie weiterer Gesetze. Der Versuch, Gesetze „überlisten“ zu wollen, muß leider nicht zum erstenmal festgestellt werden.

Grundlegende Richtungen notwendiger Reformen im ökonomischen System der DDR können m.E. etwa in drei wechselseitig miteinander verbundene Problemkreise zusammengefaßt werden:

1. Fragen der Selbständigkeit der Betriebe und der Funktion der zentralen Wirtschaftsleitung;

2. Waren-Geld-Beziehungen, das Verhältnis von Plan und Markt;

3. Strukturpolitik, Stärkung der Exportkraft vor allem in qualitativer Hinsicht, vertiefte, und effektivere Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung.

Zum ersten Problemkreis: Daß die Betriebe, Kombinate und auch andere sich herausbildende Wirtschaftsvereinigungen und -verbände eine größere ökonomische Selbständigkeit bekommen müssen, ist unbestritten. Die nicht neue Frage aber ist, wie hoch diese Selbständigkeit sein muß, wie sie konkret auszugestalten ist (z.B. hinsichtlich des Stellenwertes der Kategorie „Gewinn“) und, damit zusammenhängend, welche Aufgaben der sozialistische Staat, die zentralen wirtschaftsleitenden Organe zu erfüllen haben.

Die Betriebe sind die Wirtschaftssubjekte. Wollen sie mit hoher Effizienz wirtschaften, flexibel auf den Markt (Binnen- wie Außenmarkt) reagieren und Innovationsprozesse schnell angehen und beherrschen, bedarf es der vollen Eigenerwirtschaftung (einschließlich Devisen) und der Selbstfinanzierung, großer Vollmachten (einschließlich des Außenhandels und der Organisierung internationaler Kooperationsbeziehungen), unbehinderter Verbindung zum Markt und eines weiten Entscheidungsspielraumes.

Indem die Betriebe schrittweise und ökonomisch immer spürbarer dem internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt werden, sind sie gezwungen, internationale Maßstäbe tatsächlich zum Maßstab ihres Wirtschaftens zu nehmen. Sach und Entscheidungskompetenz - materielle Verantwortung für Entscheidungen und eigene Realisierungsmöglichkeiten dieser durch Verfügbarkeit materieller und finanzieller Möglichkeiten müssen übereinstimmen. Das sind zugleich unumgängliche Prämissen, um das Leistungsprinzip - in Verbindung mit entsprechenden Voraussetzungen in der Gesellschaft insgesamt - voll wirksam zu machen und Triebkräfte für schöpferische, effektive Arbeit ungehindert freisetzen zu können, Freiräume für die Persönlichkeitsentfaltung zu schaffen sowie das Eigentümerbewußtsein spürbar anzuheben.

Der Glaube, allein oder auch nur vorwiegend durch eine computergestützte zentrale Bilanzierung und Planung die wirtschaftlichen Probleme in den Griff zu bekommen und die Prozesse steuern zu können, läßt m.E. Wesentliches außer acht. Von den produktiven und individuellen Bedürfnissen der Menschen und der Marktentwicklung strömt täglich eine ungeheure Vielzahl von Informationen und Signalen auf das wirtschaftliche Geschehen ein. Wenn sie der Computer vielleicht auch weitgehend erfassen und für zutreffende Entscheidungen Varianten aufbereiten kann, die Reaktion darauf, das Auslösen entsprechender Aktivitäten ist Sache der Menschen mit ihren sehr unterschiedlichen Interessen und Motiven. Das flexible, schnelle und wirtschaftlich rationale Reagieren verlangt Unternehmungsgeist, volles Engagement, Freisetzen und produktives Wirksamwerden von Interessen und Motiven des einzelnen, der Kollektive, des Leiters. Selbständigkeit der Betriebe und Verfügbarkeit über Produktionsfaktoren sind hierzu grundlegende Voraussetzungen.

In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage nach den Funktionen der zentralen Wirtschaftsleitung. Hier ist eine Neubestimmung erforderlich. Dabei kann es sich nicht um eine Preisgabe der zentralen Leitung und Planung überhaupt handeln, nicht um ein Heraushalten des sozialistischen Staates aus der Wirtschaft. Das wäre ein verhängnisvoller Rückfall zumindest in die frühe Reifephase des Kapitalismus, wo der Staat aber auch schon eine gewichtige Rolle spielte, geschweige denn heute im modernen Kapitalismus!

Wesentliche aufgaben der Zentrale sind die Steuerung der wissenschaftlich-technischen und der Strukturpolitik des Landes die Analyse, Bestimmung und Sicherung der Grundproportionen der Volkswirtschaft und der Grundrichtungen der Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung sowie die Konzentration von Mitteln und Kräften auf volkswirtschaftlich besonders wichtige Gebiete und Objekte.

Zum zweiten Problemkreis: Ein effektives Funktionieren der Wirtschaft ist ohne breite Entfaltung der Ware-Geld -Beziehungen undenkbar. Wir haben es, seit langem unumstritten, mit einer sozialistischen Warenproduktion zu tun. Sind daraus aber bisher alle relevanten Fragen gestellt, geschweige denn bis zu Ende durchdacht worden? Zusammen mit den Konsequenzen hinsichtlich der ökonomischen Selbständigkeit der Betriebe, damit diese im echten Sinne Warenproduzenten sein können, ergibt sich die Notwendigkeit, das Geld als allgemeines Äquivalent in seinen Funktionen als Zirkulations-, Zahlungs- und Akkumulationsmittel voll wirksam werden zu lassen. Dabei können die Voraussetzungen für eine schrittweise Einführung der Konvertierbarkeit der Währung sicher nur in Etappen geschaffen werden.

Ein besonders behutsames, überlegtes Vorgehen ist bei den Reformen der Preis- und Subventionpolitik erforderlich. Aber Sinn der Veränderungen auf dem Gebiet der Preise und Subventionen besteht nicht nur darin, das Kosten-Nutzen -Rechnen überhaupt erst richtig zu ermöglichen, zum genauen Kalkulieren, Rechnen und effektiven Wirtschaften zu zwingen, sondern auch darin, falsch verstandene und praktizierte soziale Gleichheit und Gleichmacherei mit all den verhängnisvollen Folgen zu überwinden, die Menschen zu ökonomischem Denken und rationellem Verhalten anzuhalten und somit auch von dieser Seite ein wichtiges Element des Leistungsprinzips, die Stimulierung zu hohen Leistungen, zum Tragen zu bringen.

Entnommen aus dem 'Neuen Deutschland‘, stark gekürzt. Morgenstern ist Professor an der TU Dresden.