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„Vergangenheit darf uns nicht erdrücken“

Kohls Reise nach Polen war wie erwartet eine Tour der Ignoranz und Peinlichkeiten / Der Kanzler blieb hart, als es um ein Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Grenzen ging / Letzter Tag in Auschwitz erschien wie eine Plichtübung / Polnische Angst vor großdeutschen Gelüsten  ■  Von Charlotte Wiedemann

Warschau (taz) - Als Helmut Kohl gestern an der Todesmauer von Auschwitz stand, kam es schon nicht mehr darauf an, ob er wenigstens hier den Kopf zum Zeichen der Trauer senkte oder ob er sich so trotzig aufrecht hält wie am Mahnmal des Warschauer Ghettos. Es kam auch nicht mehr darauf an, ob er vor einem Berg von Brillengestellen ermordeter Juden nach dem Fabrikat der Gestelle fragte oder nicht. Es ist vorher bereits zuviel an Peinlichkeiten passiert.

Drei Wochen lang hatte die Bundesregierung jüdische Bedenken gegen einen Auschwitzbesuch am Sabbat ignoriert. Und nachdem in letzter Sekunde vor Beginn des Staatsbesuchs das Programm endlich umgeworfen wurde, entfachte Regierungssprecher Klein einen Streit, der fünf unerträglich lange Tage anhielt. Ob nämlich nun das „internationale Judentum“ oder der Jude Heinz Galinski für das entstandene Chaos verantwortlich sei. Heinz Galinski, ehemals Auschwitzhäftling, muß sich am Vortag des Besuchs eines deutschen Kanzlers in Auschwitz rechtfertigen, kein Täter zu sein: Er werde nun als „Störenfried“ in Warschau betrachtet und vom Kanzler geschnitten, klagt Galinski gegenüber Journalisten.

Dabei geht es eigentlich gar nicht um Galinski. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden und offizielles Delegationsmitglied hat nur am Tag vor dem Staatsbesuch dem Kanzleramt gesagt, was ein anderer bereits am 24.Oktober in aller Stille in der deutschen Botschaft in Warschau zu bedenken gab: Zygmunt Nissenbaum, ein früheres Zentralratsmitglied, der das Warschauer Ghetto als Jugendlicher überlebte, sagte den Beamten des Kanzleramts und des Auswärtigen Amtes damals, an einem Sabbat könnte kein Jude den Kanzler nach Auschwitz begleiten und dieser Termin könne der Ehrung der Toten nicht gerecht werden. Die Beamten bedankten sich für den Hinweis - und ließen alles beim alten. Erst als Nissenbaum nach wiederholten Anfragen dem Kanzleramt schließlich noch einen Stapel Protestschreiben von Rabbinern verschiedenster Länder schickte, zog Bonn die Notbremse.

Der im Exil lebende Landesoberrabbiner für Polen, Morejno, schrieb zum Beispiel aus Brooklyn: Ein Auschwitzbesuch Kohls am Sabbat wäre eine „Ohrfeige“ und eine „Beleidigung der religiösen Gefühle des Judentums auf der ganzen Welt“.

Informationsminister Klein konnte darauf setzen, daß diese Hintergründe kaum einem Journalisten bekannt waren, als er zu Beginn des Staatsbesuchs von der „besonderen Sensibilität des internationalen Judentums“ schwadronierte. Und ein deutscher Minister wie Hans Klein läßt sich nicht vorschreiben, wie er über Juden reden darf, auch nicht auf polnischem Boden. Und erst nach fünf Tagen bequemt sich Klein, seine Äußerungen zumindest zurückzunehmen.

Wer den CSU-Mann mit kritischen Fragen in diesen Tagen zur Rede stellt, wird nun seinerseits bezichtigt, „Stimmungen anzuheizen“ und den Versöhnungsprozeß „zurückzuwerfen“. Der Streit um Auschwitz ist wie ein Brennglas, das die kleinen Furchtbarkeiten auf dieser Reise sichtbarer macht.

Am Ghettomahnmal läßt Kohl eine geladene Delegation polnischer Juden wie Bittsteller im Abseits stehen, begrüßt sie erst nach Aufforderung. Auf einem Empfang der Konrad -Adenauer-Stiftung im Warschauer Schloß, das von der Wehrmacht bis zum letzten Stein niedergemacht wurde, plaudert der Stiftungsvorsitzende Bernhard Vogel unbefangen darüber, wie dieses Schloß „die Höhen und Tiefen der polnischen Nation“ symbolisiere und daß die Polen nun, durch ihre Reformpolitik, „in die Gemeinschaft der Völker zurückgekehrt“ seien. Und in der Universität Lublin, an einer Stätte der Ausmerzung der jüdischen und polnischen Intelligenz, bedankt sich Kohl für den Erhalt eines Ehrendoktorhuts mit den Worten: „Die Last der Vergangenheit darf uns, Deutsche und Polen, nicht erdrücken.“

Wer erwartet hatte, zumindest von der Begegnung in Kreisau, dem historischen Treffpunkt der Hitlergegner, werde ein anderes Signal ausgehen, wurde enttäuscht. Kohl, dem die Buhrufe in Berlin gezeigt haben, daß er noch nicht als der Wiedervereinigungskanzler gilt, tritt hier für die Fernsehzuschauer zu Hause auf. Mit „dräsigem“ Wohlgefallen läßt er sich von den Schlesiern feiern und erwähnt die Tradition des Ortes mit keiner Silbe.

Versöhnung der Marke Kohl; gönnerhaft, fast zudringlich umarmt er den polnischen Ministerpräsidenten. Und Marke Kohl ist auch die Kulisse für dieses Bild, das nun als historisch gilt: ein Altar mit jener himmelblauen Rückwand, die Fernsehzuschauer von CDU-Parteitagen kennen, gebaut von derselben Hamburger Firma.

Ganz nebenbei erfährt man übrigens in Warschau, daß nicht nur der schlesische Annaberg einmal auf dem Programmzettel des Kanzleramts stand. Zunächst war nämlich der Ort Oppoln ausgesucht worden, um dort ausgerechnet am Jahrestag eines besonders grausamen Judenpogroms mit der Kanzlerdelegation einzufallen. Wenigstens in diesem Fall hat ein Hinweis des Juden Nissenbaum die Bundesregierung vor sich selbst gerettet. Polen scheint auf dieser Aussöhnungstour vermintes Gelände zu sein - nur legen sich die Deutschen die Minen selbst.

In diesem großen Chaos spielen die Gastgeber nur eine Nebenrolle. Sie zeigen für alles Verständnis, und wo sie noch nicht genug davon haben, wird es ihnen energisch abverlangt: vor allem in der Grenzfrage. Kohl redet tatsächlich, wie er es ankündigte, in Warschau nicht anders als auf dem jüngsten Bonner Vertriebenentreffen. Ein expliziter Verzicht auf Gebietsansprüche kommt nicht über seine Lippen. Lieber behelligt er seinen Gesprächspartner Mazowiecki mit Ausführungen über „die Befindungslage der Vertriebenen“ und garniert sie zum besseren Verständnis, wie Sprecher Klein erläutert, auch noch „mit sehr viel historischer Begründung“. Vergeblich bitten die Polen jenen Satz aus der jüngsten Bundestagsentschließung in die gemeinsame Erklärung aufzunehmen, der mit Genschers Worten Gebietsansprüche auch für die Zukunft ausschloß - Kohl bleibt hart.

Dabei ist die polnische Furcht vor großdeutschen Gelüsten gerade während dieses Staatsbesuchs zwangsläufig gewachsen. Der bedeutsamste Akt des Besuchs war schließlich seine Unterbrechung. Die Polen werden nun vergleichen, wie viele zig Milliarden Mark für die DDR schnell lockergemacht werden und wie lange sie selbst um soviel weniger betteln mußten.

Mit Aussöhnung, dem großen schiefen Begriff für diese Reise, hat das alles ohnehin nichts mehr zu tun. Kohls Sprecher Klein verweist auf das Verhältnis der Bundesrepublik zur Dritten Welt und meint leichthin: „Es gibt Länder, deren Bonität noch schlechter ist als die Polens und in die auch investiert wird.“

Der Nebel hat sich während dieser Tagen immer schwerer über Warschau gesenkt. Wenn die Sicht wieder klarer wird, dann ist von den Deutschen nur noch ihr Gastgeschenk zurückgeblieben: ein Notarztwagen für Polen.

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