: Autoschlangen kennen keine Grenze
Interview mit Ostberliner Öko-Experten / Die offenen Grenzen sorgen auch in Ost-Berlin für Stau, Ruß und Gestank / Sollte die Mauer für Autos bleiben? ■ I N T E R V I E W
Die Westberliner rümpfen die Nase wegen stinkender Trabis, die Ostberliner protestieren, weil West-Berlin seinen Müll in der DDR ablädt. Über den grenzüberschreitenden Umweltärger sprach die taz mit Mario Hahmel und Vollrad Kuhn aus Ost-Berlin. Sie sind Mitarbeiter des unabhängigen, grün -ökologischen Netzwerks „Arche“ und Mitglieder der Gründungsinitiative für eine grüne Partei in der DDR.
taz: Zunächst freuten sich die Westberliner, daß die Ostberliner nun unbeschränkt reisen dürfen; jetzt fällt vielen Leuten in West-Berlin auf, daß Trabis stinken.
Kuhn: Es wäre wichtig, wenn die DDR-Bürger ihre Autos am Stadtrand stehen lassen beziehungsweise gleich mit dem Zug nach Ost-Berlin kommen. Sie können die Nahverkehrsmittel benutzen. Und sie sollten bloß nicht mit dem Auto nach West -Berlin rüberfahren. Auch bei uns, in den Bezirken Stadtmitte und Prenzlauer Berg, gibt es jetzt in Grenznähe überall Verkehrsstaus, Ruß und Gestank.
Es gibt zur Zeit eine Art Beißhemmung der Öko-Gruppen in West-Berlin. Man wagt einfach nicht so recht, den Trabi -Gestank zu kritisieren, weil man weiß, daß es in der DDR einfach keine saubereren Autos gibt. Was sagt ihr dazu?
Hahmel: Ein Trabant mit VW-Motor oder Katalysator wäre natürlich ein qualitativer Fortschritt. Aber andererseits müssen die verkehrspolitischen Forderungen durchgesetzt werden: Eine Öffnung der U-Bahnlinien und Bahnhöfe, die jahrelang geschlossen waren, und der Anschlußstücke der S -Bahn zwischen Ost- und West-Berlin.
In Ostberliner Öko-Gruppen hört man manchmal sogar die Forderung, den Zweitaktern einseitig die Einfahrt nach West -Berlin zu verbieten, ohne ein vergleichbares Ausfahrverbot für Westberliner...
Kuhn: Ich persönlich fordere das nicht. Westliche und östliche Autos kann man nicht unbedingt vergleichen. Die Viertakter stoßen mehr Stickoxide aus, die Zweitakter mehr Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffe. Fakt ist, daß beides schädlich ist, wenn auch auf unterschiedliche Weise.
Hahmel: Ich denke auch, daß man das nicht mit Verboten regeln, sondern lediglich Empfehlungen abgeben sollte. Erstmal sind die Leute ja froh, daß sie in den Westen können. Man sollte aber dafür sorgen, daß es weniger attraktiv ist, mit dem Auto zu kommen, etwa durch die Verknappung von Parkplätzen.
Im Senat gibt es schon Planungsüberlegungen für den Fall, daß West-Berlin Transitgebiet wird, beispielsweise für Autofahrer, die von Potsdam nach Stadtmitte wollen. Und der Bausenator will nun deshalb neu darüber nachdenken, die Stadtautobahn in Neukölln bis nach Treptow zu verlängern.
Kuhn: In dieser Großstadt mit dieser Zusammenballung von Menschen und Gebäuden wäre es völliger Blödsinn, noch die letzten Stücke Natur kaputt zu machen und noch mehr Schäden anzurichten.
In Ost-Berlin gibt es neuerdings eine Smog-Verordnung. Ein Fahrverbot tritt danach aber erst bei höheren Werten in Kraft als in West-Berlin. Nun diskutiert man im Senat, ob man eine von der Umweltsenatorin geplante, weitere Verschärfung der Smog-Verordnung nicht besser zurückstellen sollte, um den Unterschied zwischen Ost und West nicht zu vergrößern. Sollte West-Berlin nun nicht eine ökologische Vorreiterrolle übernehmen? Oder plädiert ihr für eine Angleichung der Maßstäbe?
Hahmel: Es kann jetzt nur so weitergehen, daß sich Senat und Magistrat zusammensetzen und die gesamte Umweltkonzeption für eine einheitliche Stadt Berlin überdenken. Es gibt ein umweltpolitisches Programm für West -Berlin, es gibt ein Umweltprogramm für Ost-Berlin. Beide haben Lücken und könnten sich durch eine gemeinsame Überarbeitung ein bißchen angleichen lassen.
Kuhn: Ich bin anderer Meinung. West-Berlin kann erstmal die Vorreiterrolle behalten. Dort gibt es ganz andere technische Möglichkeiten, bei der Meßtechnik, was Katalysatoren angeht. Wir können nicht ohne weiteres ähnlich strenge Maßstäbe anlegen. Es wäre aber schade um die Umwelt, wenn man mit neuen Verordnungen warten würde, bis die DDR soweit ist. Die DDR muß natürlich unterstützt werden, ihre Technik zu vervollkommnen.
Interview: hmt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen