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Bulgariens alte Garde tritt ab

■ Mladenow zum neuen Präsidenten gewählt / Umbildung in Regierung und Parteiführung / Parlament schafft Verbot kritischer Äußerungen ab / Schiwkow-Mitarbeiter ausgebootet

Sofia (afp) - Innerhalb von nur einer Woche ist in Bulgarien ein Großteil der alten Garde ausgebootet worden. Die Nationalversammlung hat am Freitag einstimmig per Handzeichen den neuen KP-Chef Petar Mladenow zum Staatsratsvorsitzenden gewählt. Der 53jährige Politiker tritt die Nachfolge des 78jährigen Todor Schiwkow an, der am Freitag vergangener Woche seine Ämter als Staats- und Parteichef sowie seinen Sitz im KP-Politbüro verloren hatte.

In seiner Antrittsrede als Präsident der Volksrepublik Bulgarien betonte Mladenow die Notwendigkeit einer Aufwertung des Parlamentes. Diese Umgestaltung könne nicht nur durch „politisch Maßnahmen oder Organisation“ geschehen, unterstrich er. Es sei vielmehr eine „tiefgehende Frage der ganzen Gesellschaft“. Die Wahl eines sozialistischen, modernen, menschlichen, demokratischen Rechtsstaates durch die Gesellschaft müsse realisiert werden. Ein erster Schritt in diese Richtung: die Nationalversammlung schaffte Artikel 273 des Strafgesetzbuches ab, der de facto regierungskritische Äußerungen verbot.

Am Vortag seiner Wahl zum Staatspräsidenten hatte Mladenow umfassende Personalveränderungen in den Führungsgremien der Partei durchgesetzt. Sie trafen fast alle wichtigen Vertreter der „Betonköpfe“ oder „unserer Mafia“, wie die Schiwkow-Gruppe in der Presse genannt wird. So beförderte Mladenow Außenhandelsminister Andrej Lukanow zum Politbüromitglied und ZK-Sekretär. Er war bislang Politbürokandidat und nach Einschätzung eines westlichen Diplomaten „Bulgariens Schaufenster zum Westen“ gewesen. Weiter berief Mladenow zwei erfolgreiche regionale Erste Parteisekretäre ins Politbüro: die beiden Ingenieure Mintcho Jotschew (47) und Pantalei Paschow (50) aus Haskovo im Südosten und Plowdiw im Süden Bulgarien.

Den spektakulärsten Aufstieg ins Politbüro und zum ZK -Sekretär machte der 68jährige Nacho Papazow. Er gehört eher der Generation Schiwkows an und bekleidete bislang zweitrangige Posten. Die Nachfolge Mladenows im Amt des Außenministers tritt Boiko Dimitrow an. Er ist der Adoptivsohn des ersten bulgarischen Parteichefs nach 1944.

Der Sohn des ehemaligen Parteichefs, der 37jährige Wladimir Schiwkow, wurde ebenso aus dem Zentralkomitee geschaßt wie drei weitere Personen aus seiner engeren Umgebung. Im zehnköpfigen Politbüro sitzen nach der Umbildung nur noch zwei Männer der alten Garde: der 71jährige Pencho Kubadinski, Präsident der Föderation der Massenorganisationen, die von der Partei kontrolliert werden, und der 69jährige Jordan Jotow, der jedoch seinen Posten als ZK-Sekretär für Ideologiefragen verlor.

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