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DAS SAMMELN & SO

■ „Schatzkästchen und Kabinettschrank“ - eine Sammlung von Sammelmöbeln alter & neuer Sammler zum Zwecke der inneren Sammlung

„Die Sammlungs-Literatur des 18.Jahrhunderts weiß vom biblischen Ursprung des Sammelns: Noah hat systematisch ein Paar von jeder Spezies in der Tierwelt in seiner Arche um sich versammelt - mit gutem Grund.“ (Barbara Mund)

Als Auserwählter der Ordnung, ihr treuester Anhänger & Verfechter schrieb sich Noah durch seine biologische Enzyklopädie durch das Chaos hindurch in die jungfräuliche neue Welt ein. Das kann beileibe nicht jeder Sammler von sich sagen.

Nun präsentiert das Kunstgewerbemuseum den Sammelbehälter Noahs, die „Wir-sitzen-alle-in-einem-Boot„-Arche leider nicht. Und auch die Frage, ob Noah in seiner Ordnungsmission Grenzfälle bedachte - also zweiköpfige Hunde, Kühe mit mehreren Eutern, am Penis zusammengewachsene siamesische Zwillinge, etc. - wird weder vom so überaus vielversprechend beginnenden Katalog, noch von der Ausstellung befriedigt, geschweige denn beantwortet. Obwohl gerade diese Frage bedeutsam für die umfassenderen Sammler der Geschichte ist: Francesco I. Medici legte beispielsweise im Verlauf des 16.Jahrhunderts eine Sammlung an, die er sich als Abbild des göttlichen Universums dachte - mit sich selbst als Quasi -Schöpfer im Zentrum. Er sammelte, um sich seiner Individualität & seines ordnenden Platzes zu vergewissern & diese Stellung mit gewaltigen Lettern über die eigene Zeit hinaus in die Geschichte einzuschreiben. Und er sammelte eben auch curiosa, diese Ausfällung der „triebhaften Natur des Sammelns“ (Mundt), die uns heute so wundersame Sammlungen wie sämtliche Viren & tödliche Seuchen der Menschheit, der Berliner Mauer in Wort, Bild & Ton oder andere Raritäten der geschichtlichen Informationspest bestaunen läßt.

Raffbehälter

Das also zeigt die Ausstellung nicht. Ihr geht es vielmehr darum, wie & wo die sich selbst vergewissernden & bewahrenden Horter von Erscheinungen der Echtzeit („Berliner Telefonbücher von 1917 bis 1953“) ihre „obskuren Objekte der Begierde“ (B-Film-Titel) verstauen. Während Leben „da draußen“ bedeutungslos wird, überziehen Sammler & Museen mit ihren Regalen & Vitrinen, „Schatzkästchen & Kabinettschränken“ (Titel der Ausstellung) „Kultur“ mit der Patina des Realen: Ausstellung des antifaschistischen Kampfes, Exponate 23a bis 23c: Originalpflastersteine, Lausitzerplatz vom 1.Mai 1987/89. Nicht genug damit, daß „Kulturschätze“ (Katalog) in den schwarzen Löchern raffender Museen & privater Konkurrenten der Wert- & Sinnakkumulation anheimfallen, werden nun auch die Techniken & Werkzeuge dieser Art von Inszenierung in einer weiteren Potenzierung zum Thema einer Ausstellung gemacht.

Es geht also um die Behälter von Stücken, um ihre Entwicklung seit dem 12.Jahrhudnert & darum, daß man diese jetzt ebenfalls sammelt. Ausgestellt findet sich da ein Kasten aus Elfenbein & Bronze (2. Hälfte des 12.Jahrhunderts), übrigens schon damals mit einem Schloß versehen. Gleich daneben liegt ein „Minnekästchen“ vom Anfang des 14.Jahrhunderts: „In der von den Idealen der Minne & des Rittertums bestimmten höfischen Kultur des hohen & späten Mittelalters kam beziehungsreich verzierten Luxusartikeln eine große Bedeutung zu. Liebende & Brautleute tauschten galante Geschenke aus.“ Das Kästchen weist eine „verführerische Oberfläche“ (postmoderner Eckstein) auf, „die Minne wird in direkter Form thematisiert“, & es belegt die sich anbahnende Verdoppelung: das Behältnis zur Aufbewahrung von Schmuck, Briefen, intimster eigener Ordnung wird selbst zu einem Schmuckstück.

Zivilisation am Schrank

Diese Entwicklung setzt sich dann durch die Jahrhunderte fort, bzw. dies zu zeigen, ist Absicht der Ausstellung. Ein Bernsteinkästchen vom Ende des 16.Jahrhunderts, aus Silber & Meerschaum gefertigt, weist hinter transliziden Bernsteinfenstern Darstellungen der sieben Tugenden auf. Es wird zusätzlich von Planetengöttern & Tierkreiszeichen geschmückt. Die Schmuckkästchen werden nun nicht nur selber schmuck, schön anzuschauen, sondern als architektonische Miniaturen von Kosmologie & psychischer Entfaltung/Ordnung gearbeitet.

Je weiter man in der Geschichte voranschreitet, je weiter sich geistiger Horizont, der Gebrauch diffiziler Werkzeuge & exotischer Werkstoffe entwickeln (kurzer Exkurs: je weiter die Kapitalströme der Handelsgesellschaften den Globus umspannen), desto differenzierter wird auch der Aufbau der Exponate. Nicht nur die Stücke der Sammler, ihr Bewahren von Welt sind nun bedeutungsvoll, sondern auch die Kästchen, Schränke, Kabinette protzen prunkvoll. Zudem wird auch das Verständnis der Einblicknahme in Welt entsprechend in der Möbelgestaltung komplexer: Da gibt es ornamentale Oberflächen, Intarsienarbeiten auf den Türen, die geöffnet eine komplizierte Innenarchitektur freilegen. Schubladen & Geheimfächer, Säulen & Spiegel ziehen den Blick hinein in ein verschachteltes Abbild des kosmologisches Weltverständnisses. An lediglich schmückendem Zierat & bestimmender Symbolik wird nicht gespart; ein Prunkkabinett mit Uhr von 1705 zeigt nicht nur Darstellungen antiker Mythen & Tugenden, sondern neben der Fixierung von zeitlicher Ordnung durch die Uhr auch die über allem thronende Mondgöttin Selene, die an die Vergänglichkeit & Unbeständigkeit des Menschen mahnt. (Was sammelte, verwahrte man nun in einem solchen Stück? Die Schubladen enthielten eine unvollständige Toilettengarnitur.)

Expansion

Gegen Ende des 18.Jahrhunderts, zu Beginn des 19.Jahrhunderts setzt allmählich eine Entwicklung ein, die sich von den Repräsentationsstücken entfernt & hin zu reinen Schaukästen & hölzernen Archiven geht. Es setzt sich der Funktionalismus des wissenschaftlichen Forschergeistes durch, der sich in schmucklosen Vitrinen & Sammlungsschränken materialisiert. Diese nehmen nun weniger Raum ein, bieten jedoch in sich dem entsprechenden Sammlungsobjekt gemäßen, spezifizierten Platz: Schubladen mit geformten Einlagen etc.

Die Ausstellung beherbergt auch einige Stücke der letzten Zeit, die nun wieder fortstreben vom Funktionalismus der wissenschaftlichen Museen. Sie nehmen im Raum wieder mehr bzw. überflüssigen Platz ein (also nix für Asylantenwohnheime, eher was für großräumige Yuppiequartiere) & dehnen sich auch in der Zeit aus: durch die Dauer ihrer Betrachtung & die Dauer des Zugriffs auf ihren Inhalt. Am lieblichsten fand ich unter diesen Stücken einen Kellerfensterschrank von 1985. Der besteht aus einem Glasfaserbetonblock, in den vorne & hinten Stahlfenster eingelassen sind. Drin befindet sich eine einfache, kleine Holzbank, & das Ganze steht auf Buchenästen.

Im Zeitalter von Computern stellt sich das Problem des Sammelns für Informations-Junkies natürlich eher immateriell dar & wurde vielleicht deshalb nicht berücksichtigt. Die Videokassettenhüllen in Buchform, die Pornos- & Snuff-Filme verbergen, könnte man ja vielleicht noch ausstellen, wie aber soll man die Unmenge von Programmen zeigen, die ein Computerbesitzer sammelt? Die Disketten nehmen nun kaum Platz ein, & ich kenne eigentlich niemanden, der ihre Form auf persönliche Weise modifiziert: Vielleicht mit Schnitzereien oder reingeätzten Totems.

Und die transpersonalen Sammlungen einer gesamten Kultur, wie Müllberge oder Giftfässer oder Strahlenabfälle, die finden leider ebenfalls keinen adäquaten Darstellungsraum.

R.Stoert

„Schätzkästchen und Kabinettschrank“ im Kunstgewerbemuseum Berlin. Bis zum 31.1., Di-Fr, 9-17, Sa & So 10-17 Uhr. Eintritt frei.

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