Tod beim Polizeieinsatz

■ In Göttingen wurde eine Studentin während eines Polizeieinsatzes gegen Autonome überfahren

Seit Monaten gibt es in Göttingen handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen Skinheads sowie anderen Mitgliedern der neofaschistischen Szene und Autonomen auf der anderen Seite. Am Freitag abend hat nun nach einer Prügelei zwischen beiden Gruppen der Polizeieinsatz, der sich nur gegen die Autonomen richtete, ein Todesopfer gefordert: Eine Studentin versuchte, dem Polizeikessel zu entkommen und wurde - unmittelbar hinter einer Sperrkette von Polizeifahrzeugen - von einem mit hoher Geschwindigkeit vorüberjagenden Renault9 überfahren und mehrere Meter durch die Luft geschleudert.

„Chaoten gegen Skinheads: Studentin tot“, titelte 'Bild am Sonntag‘. - „Von den Bullen in den Tod getrieben - Conny, wir trauern um dich“, steht auf einem der zahlreichen Transparente, die seit dem Wochenende aus Göttinger Wohngemeinschaftsfenstern hängen.

Der Leiter der Göttinger Schutzpolizei, Lothar Will, sprach gegenüber der taz von einem „bedauerlichen Vorfall, den wir am liebsten ungeschehen machen würden“. Will kündigte an, die Geschehnisse würden intern, aber auch von der Staatsanwaltschaft untersucht.

Gegen 20.30 Uhr war es am Freitag abend vor einer Studentenkneipe zu einer Schlägerei zwischen zehn bis zwölf Neonazis und einer gleichstarken Gruppe von Autonomen gekommen. Nach der Prügelei, nach der zwei Skinheads schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht werden mußten, flohen die Rechtsradikalen unter den Blicken der Polizei. Etwa 25 durch eine Telefonkette herangeholte Autonome machten sich an die Verfolgung. Beteiligte schildern, daß die Polizei dieser Gruppe in mehreren Fahrzeugen durch die Innenstadt folgte und sie schließlich in einer schmalen Stichstraße in der Nähe der Universität stellte. Mehrere Streifenwagen hätten ihnen den Rückweg abgeschnitten; auf der anderen Seite, wo die Gasse in eine vierspurige Hauptverkehrsstraße mündet, seien ebenfalls Polizeifahrzeuge mit quietschenden Reifen „in Wildwestmanier“ vorgefahren.

„Die Polizeiautos versperrten uns den Weg“, berichtet ein Augenzeuge. „Auch von hinten kamen Bullen. Einige hatten Knüppel in der Hand. Hunde waren im Einsatz, und es wurde mit der chemischen Keule gesprüht. Die Situation war sehr bedrohlich. Unser Gefühl war, daß die Bullen nicht einfach unsere Personalien kontrollieren, sondern uns einmachen wollten.“ Einige der Verfolgten flüchteten an den auf dem Bürgersteig und der Fahrbahn abgestellten Polizeifahrzeugen vorbei auf die von den Beamten nicht abgesperrte Überholspur. Ein anderer Beteiligter: „Alles war sehr unübersichtlich. Die Straße war nicht einzusehen. Einige von uns sind rübergelaufen. Dann knallte es. Conny schlug auf dem Asphalt auf.“

Um 21.45 Uhr war Cornelia W. tot. Ein Freund der Studentin beschrieb den Moment danach: „Sie lag, am Kopf blutend, auf der Straße. Ein Bulle vom SEK (Sondereinsatzkommando, d. Red.) mit dem Schlagstock in der Hand und einem Hund an der Leine schrie: 'Alle hinlegen, hinlegen!‘ und andere Polizisten versuchten, bei einigen von uns die Personalien festzustellen. Leute, die sich um Conny kümmern wollten, wurden von der Polizei nur angebrüllt.“ Der Leiter der Schutzpolizei Will dagegen sagte gegenüber der Presse, die Autonomen hätten sich geweigert, Polizeibeamte am Unfallort Erste Hilfe leisten zu lassen. Sie hätten stattdessen einen Notarztwagen verlangt. Als das Fahrzeug dann kam, sei die 24jährige bereits tot gewesen.

In einem wenige Stunden später in der Stadt verteilten Flugblatt wurde ein Text veröffentlicht, der aus einem mitgehörten Polizeifunkgespräch unmittelbar vor dem Einsatz stammen soll. Der Text: „Sollen wir sie plattmachen?“ „Wieso?“ - „Sonst gibt's Selbstjustiz.“ - „Wir haben genügend Kräfte.“ Der Polizeisprecher mochte auf Anfrage der taz diesen Dialog „weder bestätigen noch dementieren“. Die entsprechenden Beamten seien dazu „noch nicht ausführlich befragt worden“.

Der Polizeisprecher bestritt zudem die Darstellung, Cornelia W. sei „in den laufenden Verkehr getrieben“ worden. Vielmehr habe sich die „Gruppe der linksorientierten jungen Leute“ einer „normalen Personalienfeststellung“ durch die Flucht entziehen wollen. Hunde, Schlagstöcke oder Tränengas seien von der Polizei nicht eingesetzt worden.

2.000 gegen

„Mord an Conny“

An einer direkt an der Todesstelle eingerichteten Mahnwache beteiligten sich im Laufe der Nacht bei eisiger Kälte mehrere hundert Menschen. Vor dem „Jugendzentrum Innenstadt“ wurde auf der Straße eine Barrikade errichtet und angezündet. Steine flogen gegen Polizeifahrzeuge. Beide Orte blieben zum Sonntag weiträumig abgesperrt.

Zu einer Demonstration gegen den „Mord an Conny“, wie es auf vielen Transparenten hieß - durch die mit DDR-Besuchern überfüllte Fußgängerzone kamen am Samstag mittag dann schätzungsweise 2.000 Menschen. Acht Braunschweiger, die sich beteiligen wollten, wurden bereits bei der Anfahrt festgenommen. Ansonsten hielt sich die Polizei auffällig zurück. Nach der Demonstration gingen die Scheiben mehrerer Banken im Stadtzentrum zu Bruch.

Redner auf der Kundgebung würdigten Cornelia W. als „aktive, engagierte Antifaschistin“, die „das Leben geliebt hat“, sprachen von „kalkuliertem Mord“ und stellten das polizeiliche Vorgehen gegen die Antifas in den Zusammenhang der jüngsten Auseinandersetzungen mit rechtsradikalen Gruppen in der Region (siehe Artikel unten). Für kommenden Samstag soll zu einer erneuten Demonstration in Göttingen auch bundesweit mobilisiert werden.

Reimar Paul