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Mit großem Erfolg hart an die Pleite gelangt

■ Kleiner Verein 'Kommunale Drogenpolitik‘ feiert Fünfjähriges / Großer Trendsetter Bremer Drogenpolitik / Frauenprojekt in Gefahr

Wie ein großer Erfolg zugleich zu einer waschechten Krise führen kann, das ist aus der 5-Jahres-Bilanz des „Vereins Kommunale Drogenpolitik - für akzeptierende Drogenarbeit“ (AK Drogen) zu lernen. Eine schiere Ungeheuerlichkeit war es damals, als der AK Drogen systematisch und demonstrativ damit begann, zur Aids-Vorbeugung und Gesundheitsverbesserung der Junkies sterile Einmalspritzen zu verteilen, verbunden mit intensiver Aufklärungsarbeit auf der Szene. Sogar Ermittlungsverfahren gab es da - bis der Generalstaatsanwalt fand, das sei rechtlich zu vertreten. Bremen wurde als erste Stadt der BRD und nach Kopenhagen zweite Stadt der Welt Trendsetterin: Der AK stellte ohne Genehmigung und eigen-mächtig einen, später drei Zigarettenautomaten auf und füllte Päckchen mit Spritzen ein: sterile Spritzen auch am Wochenende und an Feiertagen. Inzwischen haben viele Städte

nachgezogen. Die gleiche ungeheurliche Idee, sterile Spritzen im Knast bereitzuhalten, gilt in der Justizbehörde immer noch als nicht vermittelbar. Die Aktion stieß damals auf riesigen Bedarf. Aber: Je besser die Drogenabhängigen mit sterilen Spritzen versogt waren, um so größer wurde das Entsorgungsproblem in Parks und auf Spielplätzen. Wieder startete der AK Drogen neue Ideen und führte den Tausch ein: eine alte Spritze gegen eine neue, gratis. Von 2.100 im Oktober 88 stieg die Zahl der getauschten Spritzen auf 32.000 im Oktober 1989 - besonders, seit die Gesundheitssenatorin den Tausch mit einmalig 35.000 Mark förderte. Die sind jetzt aber alle. Und paradoxerweise wirkt sich dieser Tausch-Erfolg negativ auf die Kasse des ohnehin armen Vereins aus: Brachten die billigen Automaten-Spritzen immerhin Geld ein, das für die Gratis-Frühstücke und ambulante Wundversorgung

dringend nötig war, kostet die Tausch-Aktion nur Geld: 2.000 Mark schießt der Verein im Augenblick aus nicht vorhandenen

Reserven zu. Daß ein Vereinsmitarbeiter durch die Parks zieht und, im Sommer gar mehrfach wöchentlich, alte Spritzen ein

sammelt und entsorgt, geschehe „aus reinem Idealismus“ und gehöre dringend finanziell honoriert, erklärten gestern die Mitarbeiter.

Übernächtigt sahen sie aus. Wegen der akuten Wohnungsnot macht der Kontaktladen des Vereins in der Weberstraße inzwischen an sieben Wochentagen nachts die Türen auf - und die Junkies übernachten. Die Mitarbeiter teilen sich ehrenamtlich die Nachtschichten. „Das läuft unglaublich diszipliniert, niemand klaut, und wir betreten morgens ein aufgeräumtes Büro mit gespültem Geschirr“, berichtete Mitarbeiterin Birgit Stiem begeistert. In Gefahr ist aber dadurch das jüngste Kind des Vereins, ein Cafe-Projekt für drogenabhängige Prostituierte. Die öffnen in der Notsituation auch in „ihren“ beiden Nächten für die Junkie -Männer die Tür. Sozial-und Gesundheitsbehörde denken über Ausweichquartiere nach. Im Gespräch sind derzeit Eisenbahnwaggons, die hinter dem Jakobushaus als Sleep-In benutzt werden könnten. „Das ist unmöglich, die Junkies bleiben in der Kälte auf dem Weg liegen“, befürchtet Britt Richter. Susanne Paa

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