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Das Elend mit der Sprache

■ Kurt Tucholsky „Sprache ist eine Waffe“

Die Sprache mit Modewörtern zu mästen, die Gesinnung signalisieren sollen, ist eine entsetzliche Tradition. Wer spricht schon von „betroffenenorientierter Stadtteilplanung“ und von „Deeskalationsstrategie“? Richtig, unsere Regierungskoalition. Vermutlich ohne es bemerkt zu haben, bewegt sie sich in einer Tradition von Sprachverunstaltung, die gleichermaßen hartnäckig wie ergebnislos angeprangert, schon lange gepflegt wird. Man sagt nicht: „Der Tisch ist rund.“ Das wäre viel zu einfach. Es heißt: „Rein möbeltechnisch hat der Tisch schon irgendwie eine kreisrunde Gestalt.“ Kommt modern vor, ist aber 60 Jahre alt und von Peter Panther alias Kurt Tucholsky. Wenn es irgendwie echt betroffen macht, daß einer zum Beispiel feelingmäßig an seiner Beziehungskiste zu knacken hat (ich stelle mir das immer in schwäbischem Dialekt vorgetragen vor), der/die dürfte seine/ihre/unsere Freude an dem Taschenbuch haben.

Der Herausgeber hat den Versuch unternommen, Tucholskys Sprachglossen aus dem Gesamtwerk herauszufiltern und nach bestimmten Gesichtspunkten in sechs Gruppen zu ordnen. Tucholsky-Enthusiasten werden einwenden, es gäbe doch noch viel mehr Sprachglossen, die man auch noch ganz anders ordnen können. Zwischen 151 Seiten paßt aber nur eine ganz bestimmte Menge Text. So ist das Buch vielleicht nicht vollständig, aber repräsentativ und übersichtlich. Nebenbei werden noch 27 Seiten Anmerkungen geliefert, die nützliche Hintergrundinformationen bieten und auch auf eine gute Recherche schließen lassen. Ein Beispiel sei herausgegriffen: Der für seine schlampige Arbeitsweise bekannte Raddatz hatte es zum Ärger einiger Tucholsky-Leser nicht fertiggebracht, dem Reichstagspräsidenten Löbe (Ges. Werke, BandIX, S.284) seinen richtigen Titel angedeihen zu lassen. Bis zu der mir vorliegenden Ausgabe von 1985 firmiert er als „Reichspräsident“! In Herings Anmerkungen ist der Fehler berichtigt.

Die angehängte Übersetzung englischer, französischer und lateinischer Ausdrücke schien mir zunächst kurios, als ich „up to date“ übersetzt vorfand. Möglicherweise wird mit einem Lesepublikum gerechnet, das - Wende akzeptiert - keine englischen oder französischen Grundkenntnisse hat.

Neu war für mich, daß sich Tucholsky auf den Verfasser von Allerhand Sprachdummheiten (1891 u.ö.), Gustav Wustmann, als „feinen Sprachkenner“ bezog. Er beruft sich in drei Glossen auf ihn. Möglich, daß ihm entgangen ist, was Hans Reimann 1931 dem „feinen Sprachkenner“ vorwarf: „Und wer auf Wustmanns Sprachdummheiten schwört, der nehme zur Kentnnis, daß es SprechDummheiten und SchreibDummheiten sind. Die Sprache kennt keine Dummheiten und SprachDummheiten wären Dummheiten der Sprache. Wustmann meinte jedoch Dummheiten, die man beim Schreiben und beim Sprechen verübt.“

Auch Tucholsky meint die Dummheit oder einfach nur Nachlässigkeit der Sprachbenützer, wenn er den - heute wieder inflationären - Gebrauch des Wortes „irgendwie“ oder „eigentlich“ anprangert. Er meint jedoch noch mehr das Gedankengut, das manchen Stil, etwa in politischen Reden, erst ermöglicht.

Wen es also irgendwie echt abnervt, daß die Prädikate „gut“ und „schlecht“ heutzutage mit „geil“ und „Schrott“ übersetzt werden, und wer die berlinische Sprache ganz gut ab kann, dem sei diese vergnügliche Lektüre - auch als Weihnachtsgeschenk brauchbar - empfohlen.

Roswitha Seidel

Kurt Tucholsky: Sprache ist eine Waffe, hrsg. von Wolfgang Hering, Rowohlt Verlag, 151 Seiten, 7,80 Mark.

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