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„Die sollen sich doch ersäufen“

SSC Neapel verliert UEFA-Cup-Hinspiel gegen Werder Bremen mit 2:3, die Fans verlieren die Lust am Kicken  ■  Aus Neapel Werner Raith

„Der Lack“, sagt Severino Cestello aus Pozzuoli, „ist ab, endgültig. Wofür schuften, schreien, zahlen wir eigentlich?“ Zorn hat nicht nur Severino ergriffen: das halbe Stadion hat sich, bereits eine Stunde vor Spielbeginn gegen Werder Bremen, im Ruf „Saubeutel, gebt uns unsern Fußball wieder“ zusammengefunden - angereiste Gastarbeiter aus München, Stuttgart und Bremen inklusive.

Grund des Ärgers: Nicht nur, daß die Sportsfreunde wegen des seit Monaten vor sich hintrottenden Umbaus für die WM 1992 über Lehm, Latten, herumliegende Nägel und U-Haken ins Stadion stolpern, innen durch herunterhängende Drähte und rutschige Stiegen auf ihre Plätze klettern müssen - die Beleuchtung funktionierte bei den Probeläufen in den letzten Wochen so schlecht, daß der Spieltermin, um nicht in die Dunkelheit zu geraten, auf 14 Uhr 30 gelegt werden mußte für Neapolitaner eine geradezu höllische Stunde, ist man doch zu dieser Zeit den „riposo“, die Nachmittagsruhe gewohnt; oder, wenn man jener eine von dreien ist, die statistisch eine Ganztagsbeschäftigung ausüben, wieder auf die Baustelle oder ins Amt muß.

Die Ausweichlösung Fernsehen funktioniert nicht - Italiens Medien übertragen Fußballgroßereignisse dort nicht, wo gespielt wird; in diesem Fall war die gesamte Region Campania von Gaeta bis Salerno ausgeblendet. So blieb denn notgedrungen ein gutes Drittel der Plätze leer; breite, rote Sesselreihen beleidigten an den sonst so begehrten Längsseiten den Blick. „Möchte wissen, ob das die paar Partien WM rentiert“, mosert Severino. Doch es ist nicht nur der temporäre Ungemach (den die gesamte Saison hindurch auch die wg. WM-Basteleien ausquartierten Römer, Florentiner und andere teilen) - es herrscht allgemeine Unzufriedenheit mit dem sonst so beliebten Kampf in der Kickerarena.

„Diese Ratten“, ereifert sich Ferruccio Atanigio, Abonnementsausweis seit 1959, mit seinem fast zahnlosen Mund, „diese Ratten spielen auch allesamt über den Flügel drüben“: In der Tat haben sich Bremens Stürmer zu Beginn ausnahmslos die Westseite des Stadions ausgesucht - und, vielleicht weil die Germanen so zwei Tore erzielt haben taten es ihnen die Neapolitaner, kaum waren die Seiten gewechselt, gleich. „Die haben bestimmt einen Vertrag mit den Großkopfeten, die da drüben hocken“, murrt Ferruccio, als ihm die Kicker zum zwanzigsten Mal aus dem von einem Reporter des Privatfunks ReteCapri ausgeliehenen Fernglas entschlüpfen.

Severino an seiner Seite sieht zwar besser. Ihn jedoch hindert sein Gedächtnis am großen Genuß: „Erinnerst du dich noch an Bayern? Wie wir die niedergemacht haben? Das war ein Spiel, Mensch, das war ein Spiel.“ Nach Bayern im Frühjahr, da waren sich freilich die Berufsbeobachter vom Fernsehen und den großen Sportzeitungen vorab im klaren, „läßt sich kaum noch eine Steigerung erzielen.“ Dazu kommt, daß Neapel trotz seiner derzeitigen Spitzenstellung in der Liga nicht gerade durch den gewohnten Glanz vergangener Jahre auffällt

-der Vorsprung von drei Punkten gegenüber den Mailänder Clubs (denen die Auguren eigentlich die größten Meisterschaftschancen eingeräumt hatten) rührt überwiegend von unerwarteten Unentschieden oder gar häuslichen Punktverlusten der Verfolger sogar gegen Hinterbänklervereine her (vergangenen Sonntag legte Neapel trotz eines Unentschiedens noch einen weiteren Punkt Vorsprung zu).

Ansonsten sehen die Kicker der Süd-Metropole nach Ansicht des 'Corriere dello sport‘ seit Wochen eher nach einer „Mischung aus Schnapskater vom Vortag und hereinbrechendem Scirocco“ (dem Pendant zum bajuwarischen Föhn) aus - und da stand ihnen, zumindest in der zweiten Halbzeit, Bremen kaum nach: „Wie zwei Schwerge wichtsboxer“, schimpft Gianni Fortunato aus dem nahen Fuorigrotta, einst in der B-Reserve Neapels tätig, auf die millionenteuren Kicker, „wenn sie in der 13. Runde stehend k.o. in den Seilen hängen.“ Daß die Partie - für ein Hinspiel besonders - überaus torreich war, mit immerhin fünf Treffern, ordnet Gianni nicht in die Kategorie „gutes Spiel“ ein, sondern in „kollektive Unaufmerksamkeit dieser Penner“.

Selbst die vom staatlichen Rundfunk - den man noch zusätzlich von allen Seiten aus dem Transistorradio hört unterstellte Parteilichkeit des Schiedsrichters (in der ersten Hälfte stets als „dieser schwedische Bankbeamte“ apostrophiert, für Neapolitaner offenbar eine Art tödlicher Beleidigung) läßt Gianni nicht gelten: „Wenn die anderen auf Show machen, müssen's die unseren eben auch, und Maradona ist doch der Meister im Schauspielern.“ Der Niedergang der Neapolitaner wird auch darin sichtbar: Nachdem die Spielphantasie, speziell seit den ewigen Querelen mit Maradona, auf einen Tiefpunkt geraten ist, läßt auch das Talent zur Selbstpräsentation rapide nach. „Die sollen sich allesamt den Cup um den Hals hängen und sich damit ersäufen.“

Wie es scheint, ist Gianni damit nicht allzuweit von der Stimmung der andern Fans entfernt. Als in allerallerletzter Minute, in der sich alle bereits auf das 2:2 eingestellt hatten, Rufer nach einen Bilderbuchkonter das Siegtor schießt, gibt es weder einen Aufschrei noch ein Wutgebrüll man nimmt es kaum mehr zur Kenntnis, dieses Tor. Man hat fast den Eindruck, das Bild der Neapolitaner von ihrer Mannschaft wäre zusammengebrochen, hätten die Leute um Maradona heute wirklich gut gewonnen.

NEAPEL: Giuliani - Renica (46. Mauro) - Ferara, Baroni, Francini - Alemao (68. Corradinoni), Fusi, De Napoli, Maradona - Careca, Carnevale

BREMEN: Reck - Bratseth - Borowka, Otten - Bockenfeld, Votava, Eilts, Hermann - Riedle, Rufer, Neubarth (69. Wolter)

TORE: 0:1 Neubarth (42.), 0:2 Riedle (46.) 1:2 Alemao (52.), 2:2 Careca (65.), 2:3 Rufer (90.)

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