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„Wir sind stolz, Hindus zu sein!“

In Indien sind die Hindu-Fundamentalisten auf dem Vormarsch und gehen gegen religiöse Minderheiten vor / Belastung des indischen Wahlkampfes durch Straßenschlachten zwischen Hindus und Moslems / Schätzungsweise 1.000 Tote / Keine eindeutige Reaktion von seiten der Regierung und der Opposition  ■  Von Rainer Hörig

Offensichtlich wollen radikale Hindus jetzt die indische Geschichte rückgängig machen. Etwa 5.000 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Neu-Delhi, in der Kleinstadt Ayodhya hatte der Moghul-Kaiser Babar im Jahre 1528 einen Hindu-Tempel zerstören und auf den Trümmern eine Moschee bauen lassen.

Am 9.November 1989 brachen Hunderttausende von Hindus über das verschlafene Provinzstädtchen herein, um neben der verfallenden Moschee Babars den Grundstein für einen neuen Rama-Tempel zu legen. In 400.000 Orten im ganzen Land hatten Gläubige zuvor Ziegelsteine gestiftet, die, von Priestern geweiht, in feierlichen Prozessionen zum Bauplatz getragen wurden. Die Pläne für den größten und schönsten Rama-Tempel der Welt würden den Abriß der Moschee notwendig machen. Genau dieses Ziel verfolgen die Fundamentalisten unter den Hindus. Ayodhya gilt den Hindus als heiliger Ort: Die Mythologie beschreibt ihn als Geburtsstätte der Gottheit Rama.

Ein starkes Polizeiaufgebot schützt seither die bedrohte Moschee. Bereits vor der Grundstein-Demonstration war es in vielen indischen Orten zu Brandanschlägen und Straßenschlachten zwischen Hindus und Moslems gekommen, die innerhalb weniger Tage schätzungsweise 1.000 Menschen das Leben kosteten. Das traditionell gespannte Verhältnis zwischen beiden Religionsgemeinschaften schlägt also wieder in Mord und Totschlag um und wirft schwarze Schatten auch auf die kommenden Wahlen zum Nationalparlament.

Auf der Parteifahne

ein Tiger

Ausgelöst wurden die jüngsten Unruhen durch eine Kampagne der fundamentalistischen „Weltvereinigung der Hindus“ (VHP), die seit 1984 für die „Befreiung“ Ayodhyas vom „islamischen Joch“ agitiert und die in der neuen Bewegung für ein hinduistisch dominiertes Indien eine theoretisch führende Rolle spielt. Besonders bei den Brahmanen und anderen höheren Hindukasten, deren Angehörige in der modernen Industriegesellschaft ihre religiös sanktionierte Vormachtstellung verloren haben, fallen die chauvinistischen Parolen der „Weltvereinigung“ auf fruchtbaren Boden.

Auch andere Hindu-Vereinigungen haben die Zeichen der Zeit erkannt und werben für „Hindu-Rashtra“ - für die Herrschaft der Hindus. Im industriell fortgeschrittenen Unionsstaat Maharashtra ist die „Armee des Gottes Shiva“ (Shiv Sena) zur stärksten oppositionellen Kraft aufgestiegen. Der ehemalige Karikaturist Bal Thackeray wollte mit seiner 1976 gegründeten Partei zunächst den Einfluß von südindischen Einwanderern verschiedener Religionszugehörigkeit in der Industriemetropole Bombay zurückdrängen. Doch auch er vertritt heute den Herrschaftsanspruch der Hindu-Gemeinde. Besonders im kleinbürgerlichen Milieu genießt er hohes Ansehen, verspricht er doch die Ausschaltung lästiger Konkurrenten, die den täglichen Überlebenskampf noch schwerer machen.

1980 wurde der Shiv Sena-Politiker Manohar Joshi zum Bürgermeister von Bomby gewählt. Heute weht die safranfarbene Parteifahne mit dem zähnefletschenden Tiger in ganz Maharashtra und auch in dem vom Sikh-Hindu-Konflikt erschütterten Pandschab. „Ich will eine Diktatur für das Volk, eine wohlwollende Diktatur“, erklärte Bal Thackeray in einem Zeitungsinterview. „Ich bin ein Diktator, kein Scheinheiliger!“

Nach Jahren der Zurückhaltung schlägt auch der Hindu -Kampfbund „Nationales Freiwilligen-Hilfskorps“ (RSS) wieder radikale Töne an: „Indien den Hindus!“ und: „Wir sind stolz, Hindus zu sein!“ Der RSS arbeitet eng mit der rechtskonservativen „Indischen Volkspartei“ (Bharatiya Janta Party) BJP zusammen, die sich in den letzten Wochen dem Oppositionsbündnis gegen Rajiv Gandhi angeschlossen hat. Der inzwischen verstorbene M.S. Golwalkar, der den RSS von 1940 bis 1973 angeführt hatte, hegte eine besondere Bewunderung für Adolf Hitler. Er schrieb: „Deutschland hat die Welt schockiert, als es sich, um die eigene Rasse und Kultur zu bewahren, von der semitischen Rasse säuberte. Deutschland hat auch bewiesen, daß es nahezu unmöglich ist, verschiedene Rassen und Kulturen zu einem Ganzen zu assimilieren. Dies ist eine wichtige Erkenntnis, von der wir in Hindustan lernen und profitieren können.“

Bewaffnete Kampfgruppen

Die lange Herrschaft der Gandhi-Dynastie ist in Korruption und Vetternwirtschaft erstarrt und behindert die politische Willensbildung. In den letzten Jahren haben daher die vernachlässigten und durch politische Intrigen betrogenen Minderheitenvölker an der Peripherie des indischen Reiches die Sikh im Pandschab, die Moslems in Kaschmir, die Hindus in Assam - militant gegen Neu-Delhi aufbegehrt. Die Zentralregierung schickte Truppen gegen die Aufständischen und rang sich halbherzige Zugeständnisse ab, doch ethnische und religiöse Konflikte toben nach wie vor überall in der Indischen Union.

Weil unruhige Minderheiten die nationale Politik immer stärker bestimmen, fühlt sich nun die Hindu-Mehrheit (83 Prozent) vernachlässigt. Zusammen mit der durch Rajiv Gandhi forcierten Verwestlichung der Gesellschaft treibt die allgemeine Verunsicherung viele Menschen in das politische Lager der Fundamentalisten. Politiker aller Parteien mit Ausnahme der Kommunisten glauben, durch chauvinistische Parolen die Unterstützung der einen oder anderen Bevölkerungsgruppe gewinnen zu können. Radikale Angehörige der Sikh- und der Moslem-Minderheit bildeten sogar bewaffnete Kampfgruppen, um ihre Interessen durchzusetzen.

Wie keine andere Gesellschaft der Welt ist die indische in eine schier unüberschaubare Zahl von Ethnien, Religionsgemeinschaften, Kasten und Unterkasten segmentiert. Die seit 1950 gültige Verfassung der Indischen Union erklärt daher den Säkularismus zur Staatsdoktrin - die vollständige Trennung von Religion und Staat. In zum Teil militant ausgetragenen Konflikten haben sich viele Minderheiten Sonderrechte erkämpft, ohne die ein Zusammenleben im Vielvölkerstaat schwer vorstellbar ist. Dieses komplizierte System des Interessenausgleichs wollen die radikalen Hindus nun über den Haufen werfen. Indien sei das einzige Land der Welt, in dem Hindus die Mehrheit stellen, und daher müsse sich die indische Politik in erster Linie am Hinduglauben orientieren.

Schaukelpolitik

im Wahlkampf

Der Vormarsch der Hindu-Fundamentalisten in der Vorwahlzeit brachte die Regierungspartei Congress (I) in eine Zwickmühle: Geht sie mit Härte gegen die Tempelbauer vor, verscherzt sie sich die Sympathien vieler Hindus. Läßt sie aber die Chauvinisten gewähren, verliert sie unter Umständen die Unterstützung einer ihrer Stammwählergruppen, der Moslems. Rajiv Gandhi hat sich wiederholt gegen einen Hindu -Staat ausgesprochen, duldete jedoch die Grundsteinlegung in Ayodhya.

Auch das Oppositionsbündnis „National Front“ betreibt eine Schaukelpolitik. Nach langen Diskussionen vereinbarte man vor wenigen Wochen eine Wahlabsprache mit der Hindupartei BJP, denn ohne ein Zusammengehen mit der erstarkten Hindu -Rechten wäre ein Sieg über Rajiv Gandhi von vornherein aussichtslos. Andererseits bekämpt ihr linker Flügel seit jeher chauvinistische Tendenzen in der Politik. Einige Oppositionspolitiker befürchten nun, daß viele Wähler, durch die jüngst im Zusammenhang mit dem Tempelbau ausgebrochenen Gewalttaten verunsichert, nach einer starken Führung verlangen und darum Gandhis Partei wählen.

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