: DDR-Mikroelektronik: eine Lokomotive ohne Waggons
Die Spitzenprodukte „made in GDR“ kommen spät und bieten zu wenige Anwendungen / Riesiger Investitionsbedarf hat für andere Industrien verheerende Folgen ■ Von Steffen Uhlmann
Zu den letzten großen Auftritten Erich Honeckers und seines Wirtschaftskapitäns Günter Mittag gehörte im August, das erste Labormuster eines 32-Bit-Mikroprozessors aus dem Erfurter Kombinat Mikroelektronik in Empfang zu nehmen.
Die Medien in der DDR feierten das Ereignis in gewohnter Jubelmanier. Denn die gleichen Feste hatte es bereits im Mai 1987 und im September 1988 gegeben. Zu jenen Terminen übergaben das Dresdener Kombinat Robotron seinen Prototyp des ersten 32-Bit-Computers und Carl-Zeiss Jena den ersten Megabitchip der DDR an den ehemaligen Generalsekretär. Leistungen, die nicht nur in der DDR mit Aufmerksamkeit registriert wurden, sondern auch im westlichen Ausland Anerkennung fanden. Die DDR gehört heute zu dem kleinen Kreis von Staaten, die über eine eigene mikroelektronische Basis verfügen.
Angefangen hat es 1977, als auf einem außerordentlichen Plenum des Zentralkomitees der SED die Weichen für die Entwicklung und Anwendung der Mikroelektronik in der DDR gestellt wurden. Was in den folgenden Jahren in der DDR dazu passierte, war ein wirtschaftlicher Kraftakt ohnegleichen. Über 14 Milliarden Mark wurden im Laufe eines Jahrzehnts in den Aufbau einer DDR-eigenen mikroelektronischen Industrie gesteckt. Die Vision von der leistungsstarken autarken „Wirtschaftsinsel DDR“ bestimmte auch hier das Handeln. Binnen weniger Jahre wurden in Erfurt, Dresden, Frankfurt/Oder, Teltow und in anderen Städten mikroelektronische Betriebe aus dem Boden gestampft. Und Carl Zeiss in Jena sollte nach dem Willen der SED-Planer zum Hochtechnologiezentrum der DDR werden.
Gewollte volkswirtschaftliche Kraftakte nannte Zeiss-Chef Biermann diese Anstrengungen. Und tatsächlich läuft alles darauf hinaus. Denn die DDR sah und sieht sich mehreren Problemen ausgesetzt. Verschärftes westliches Embargo, nämlich die „Cocom„-Bestimmungen gegen rüstungstaugliche Hochttechnologie-Einfuhren, und die eigenen Sicherheitsinteressen verlangten von der DDR einen Alleingang in Sachen Mikroelektronik. Zwar wurden auch Partner aus dem Osten bemüht, und es ist auch zu einer Arbeitsteilung vor allem mit der Sowjetunion gekommen. Doch das Zugpferd bleibt die DDR - das technologische Niveau in den anderen sozialistischen Ländern ist einfach zu differenziert. So hieß für die DDR auch hier die Devise: „Hilf‘ dir selbst!
Begleitet wurde dieser Kraftakt von einer wohldirigierten Propagandawelle, die es wiederum schaffte, den Blick für die Realitäten zu vernebeln. Denn jetzt, nach der Wende, wird aufgearbeitet werden müssen. Statt Jubel macht sich Nachdenklichkeit breit. Der alte und neue Vorsitzende der Plankommission, Schürer, der noch vor Wochen die einseitige Ausrichtung der Investitionspolitik auf die Mikroelektronik mitgetragen hatte, fordert nun zum Umdenken auf.
Das wird auch nötig sein, denn außer einigen nationalen Prestigeobjekten hat die Mikroelektronik der DDR im internationalen Vergleich noch nicht viel gebracht. Das Land hat zwar für seine Verhältnisse sehr viel Geld und Kraft investiert, aber zu wenig, um dem international angeschlagenen Höllentempo folgen zu können. Fachleute sind sich heute sicher, daß die DDR in diesem Wettlauf mit der Zeit nicht bestehen kann.
Zwar sind die Prototypen von 32-Bit-Computer, Megabitchip und 32-Bit-Mikroprozessor vorgestellt worden, in den führenden Ländern des Westens sind sie aber längst auf dem Markt. Wann sie in der DDR in die Serienfertigung gehen, vermag heute niemand zu sagen. Mit welchen Zeiträumen da gerechnet werden muß, mag das Beispiel des 16-Bit -Mikroprozessors aus dem Kombinat Mikroelektronik Erfurt verdeutlichen.
1980 wurde der Prototyp des Vorgängers des nun vorgelegten 32-Bit-Mikroprozessors übergeben. Knapp zehn Jahre später nun wollen die Erfurter endlich mit der Serienproduktion beginnen. Hochgerechnet wird die Produktion des neuen Winzlings damit etwa zur Jahrtausendwende beginnen, während er bereits jetzt auf dem internationalen Markt ist.
So bleiben berechtigte Zweifel an dem volkswirtschaftlichen Sinn solcher Kraftakte, zumal sie für die übrige Industrie mit verheerenden Folgen verbunden sind. Die Konzentration der Mittel hat die propagierte „Technologielokomotive Mikroelektronik“ ohne die Waggons davondampfen lassen. Die nun offensichtlich werdenden katastrophalen Disproportionen liegen nicht zuletzt darin begründet. Wichtige Zulieferer und auch Anwender der Mikroelektronik halten mit dem angeschlagenen Tempo nicht mehr mit. Für ganze Industriezweige stehen die Signale schon lange auf „Halt“, weil es an der notwendigen Investitionskraft fehlt. Hinzu kommt, daß die bereits gefertigten Bauelemente im internationalen Vergleich viel zu teuer hergestellt wurden und das Sortiment erhebliche Lücken aufweist.
Natürlich hat das die SED-Führung längst erkannt. Sie forderte in der Vergangenheit nahezu pausenlos dazu auf, die Ergebnisse der Mikroelektronik für die Fertigung neuer Erzeugnisse in den anderen Industriezweigen zu nutzen. Doch die Erfolge fallen bescheiden aus.
Zwar gehören Computer vielerorts nun zum gewohnten Arbeitsalltag, auch werden in einigen ausgewählten Betrieben erste Schritte hin zur automatisierten Fabrikation unternommen. Doch der Aufwand steht zumeist in keinem Verhältnis zum erzielten Gewinn. Gewinneinbußen haben die „Anwender“ der Mikroelektronik beim Verkauf ihrer Produkte zu verzeichnen. Der Maschinenbau hat an Konkurrenzfähigkeit verloren und muß sinkende Erlöse auf den internationalen Märkten hinnehmen, weil er zwar maschinenbautechnisch Spitze ist, aber die heute geldbringende Hard- und Software nicht mitgeliefert werden kann. Kaum ein westlicher Kunde akzeptiert Elektronik „made in GDR“.
Für andere Erzeugnisse, etwa für Farbfernsehgeräte, müssen einstweilen eine Reihe von Bauelementen aus dem Westen importiert werden, weil sie im Inland nicht zu haben sind. Dabei wird bei jeder Neuentwicklung ohnehin nichts anderes gemacht, als ein bereits auf dem Markt befindliches westliches Modell für eigene Zwecke nachzuempfinden. Wer wollte da von Spitzenleistungen reden? Auch für die mit viel Geld hochgezüchteten Mikroelektronikbetriebe rechnet sich kaum ein Westgeschäft. Der Computermulti Robotron in Dresden ist auf dem bundesdeutschen Markt nur mit billigen Druckern und Schreibmaschinen präsent. Die Computer sind nicht absetzbar, weil man höchstens Durchschnittsqualität bieten kann und die Entstehungskosten viel zu hoch sind.
Und auch das Hochtechnologiezentrum Carl Zeiss Jena ist nur ein Spiegelbild für das gegenwärtige Dilemma der DDR -Volkswirtschaft. Nicht Zeiss ist der Devisenbringer Nummer eins im Heimatbezirk Gera, sondern die hochbetagte Maxhütte in Unterwellenborn. Dort werden mit Hilfe belgischer Technologie billige Stahlprodukte hergestellt und einigermaßen gewinnbringend in den Westen verkauft. Die Masse macht's auch in diesem Falle.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen