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1968 - das war wie ein Märchen für uns

■ „20 Jahre war das ein Gefängnis“ - Zwei Bratislavaner, der eine Asylant, der andere nicht, berichten über Schrecken und Hoffen in der CSSR

Der Maler Peter Sedala (Bratislava) lebt seit 1980 im politischen Asyl BRD. Käme er „nach Hause“, müßte er mit einer empfindlichen Gefängnisstrafe rechnen, weil er sein Touristenvisum zur Flucht benutzt hatte. In seiner Bremer Atelierwohnung ist ein

Freund zu Gast, der vorsichtig sein muß und nicht mit vollem Namen oder mit Foto in der Zeitung stehen will: Jan. Jan hatte nach einem gescheiterten Fluchtversuch die Tschechoslowakei 18 Jahre lang nicht in Richtung Westen verlassen dürfen.

taz: Wie leben Sie in diesen Tagen?

Peter Sedala: Ich bin sehr gespannt. Ich schaue regelmäßig Nachrichten. Telefoniere. Ich wünsche mir von Herzen, daß alles gut läuft. Daß die ganze Regierung zurücktritt. Letztendlich ist

das die Rettung für die, die da drinnen in der Tschechoslowakei leben und für die, die draußen als Asylanten in verschiedenen Ländern sind. Die Asylanten sind genauso betroffen von der Politik, zum Beispiel durch Einreiseverbot. Ich war neun Jahre nicht zu Hause - und das ist nicht angenehm...

1968 - waren sie noch sehr jung.

Peter Sedala: Da war ich 13 Jahre alt. Die Zeit hab ich trotzdem sehr intensiv gespürt. Die Panzer standen vor der Tür. Man hatte das Gefühl, morgen wird geschossen. Viele haben damit gerechnet, daß es Krieg gibt. Ich habe natürlich einen Haß entwickelt gegen die Sowjetunion. Das ist gar nicht zu vermeiden.

Wir waren am 21. August 1986 gerade in Ungarn in Urlaub und durften nicht zurück in die Tschechoslowakei. Die Grenzen waren gesperrt. Nach zehn Tagen durften wir zurück zwischen Panzern aus Polen, Ungarn, dem ganzen Warschauer Pakt.

Meine Eltern haben sehr gelitten darunter. Die 69er und 70er Jahre waren die härtesten.

Jan: 1970 wollte ich illegal über die Grenze. Durch Wälder und Flüsse. Das war eine schreckliche Nacht. Sie haben geschossen, sind mit Hunden hinter uns her. Wir waren schon in der Bundesrepublik und mußten zurückgehen und ins Gefängnis.

Ich wollte Medizin studieren. Dann war alles kaputt. Ich war ein einfacher Arbeiter. Hatte keinen Paß mehr. Dreiviertel der Einwohner in dem Ort, wo ich wohne, sind negativ gegen mich eingestellt, weil ich einmal die Republik verlassen wollte.

Peter Sedala: Zwanzig Jahre ist das her seit 68. Zwanzig Jahre war das ein Gefängnis. Das ist ein ganz einfaches Mittel: Wenn ich ein Kind in diesem Raum habe und sage, du darfst nicht rausgehen und mußt das machen, was ich dir sage, dann wird es das machen.

Welche Schwierigkeiten hatten Sie in den 70ern?

Peter Sedala: Ich habe damals schon kleinere Ausstellungen gemacht, die waren sehr provokativ. Da stößt man schon auf Repressalien. Zum Beispiel ist es verboten, sich zu versammeln. Wenn ich einen Freundeskreis bilde über zehn Leute, dann ist es verboten. Wir haben oft Lesungen gemacht, wo 50 Leute anwesend waren. Lesungen von Poesie und Literatur, das waren alles illegale Aktionen. Wo Polizei ge

kommen ist, die Namen aufgeschrieben hat plus Repressalien in der Schule. Es ist letztendlich alles verboten. Ich kenne nichts, was nicht verboten ist... (überlegt:) Nun ja, Atmen ist nicht verboten und Arbeiten. Arbeiten ist Pflicht. Arbeitspflicht und Militärpflicht.

Jan: Ich finde es sehr schwer, daß ich zur Zeit nicht zu Hause bin. Aber ich bin fast zwanzig Jahre nicht hier gewesen. Es war mein Traum, einmal hierher zu kommen, das Leben hier kennenzu lernen. Ich habe es geschafft, für drei Monate eine Ausreiseerlaubnis zu bekommen, und da will ich auch die drei Monate bleiben. Und kann nur vom Radio und vom Fernsehen hören, wie es bei uns läuft.

Was haben Sie für Nachrichten aus Bratislava?

Jan: Am Freitag war in Bratislava eine große Versammlung. Dubcek hat gesprochen. Das war das erste Mal, seit 21 Jahren, daß Dubcek eine Rede gehalten hat.

Peter Sedala: Das Volk liebt ihn sehr. Das Volk hat ihn nicht vergessen.

Jan: Der Frühling 1968 war ein Märchen für uns, etwas so Schönes und Wunderbares. Dann war Schluß, und alles war ein Gefäng

nis. Und jetzt kommt die Sonne wieder raus, und Dubcek ist wieder da.

Auf was hoffen Sie jetzt?

Peter Sedala: Die Nachricht, auf die ich warte, ist: „Die gesamte Regierung ist zurückgetreten“. Der gesamte Kommunismus soll ins Museum. Die stalinistische Garde soll abtreten. Die Künstler haben angefangen, die sind frischer und mutiger. Film. Literatur, Malerei, Theater. Junge Leute sollen freies Licht bekommen - mit allen Konsequenzen: Die Grenzen werden geöffnet, Kulturaustausch... Und es ist die Frage, ob wir nicht als Helden rehabilitiert werden, denn man opfert viel.

Ich hoffe, daß das alles gut geht. Die Leute bei uns haben erfahren, wie bitter die Niederlage ist.

Jan: Wir sind froh und gespannt. Wir fühlen, es ist dasselbe wie 1968 - und auf einmal kamen dann die Soldaten. Wir waren, noch lange vor Gorbatschow, 1968 die ersten, die einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ verwirklichen wollten. Jetzt sind wir fast die letzten, weil die Ängste in der Bevölkerung so groß waren vor der Bestrafung.

Interview: Barbara Debus

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