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WO DIE DEUTSCHE SEELE WOHNT

■ „Liebe zur Landschaft“ - Die nationalsozialistische Landespflege in den „eingegliederten Ostgebieten“

„Immer wieder hielt der Reichsführer SS den Wagen an, trat in den Acker, der von Granaten aufgerissen war, nahm zwischen die Fingerspitzen eine Prise Erde, roch mit geschrägtem Kopf bedächtigt daran, zerbröckelte die Ackerkrume zwischen den Fingern und sah dann über die weite, weite Fläche voll, übervoll von dieser guten nahrhaften Erde.“ (Johst, 1942)

Die Erde, die Heinrich Himmler damals immer wieder beroch, lag in jenem Gebiet Polens, das nach dem deutschen Überfall 1939 zum „eingegliederten Ostgebiet“ erklärt worden war. Im Unterschied zu dem weiter östlich gelegenen „Generalgouvernement Polen“ sollten die Ostgebiete mit deutsch-germanischem Volkstum besiedelt werden. Damit sich der deutsche Mensch in den eroberten Gebieten auch heimisch fühlen würde, galt es nun, das Land „von den Folgen polnischer Wirtschaft“ zu reinigen und „saubere, gefällige Dörfer“ zu bauen. Für die Landschaftsplaner des „Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums“, dem Himmler vorstand, war die große Stunde gekommen: Die Landschaft der „eingegliederten Ostgebiete“ sollte zu einem „Abbild der deutschen Seele“, zu einer arischen Ideallandschaft umgeprägt werden.

Von diesem gigantomanischen Vorhaben, von den obskuren Phantasien nationalsozialistischer Landschaftsplaner war in einem Vortrag von Gert Gröning am 21.November in der Hochschule der Künste die Rede. Grönings Beitrag ist Teil einer Vortragsreihe zur „Planung in Polen im Nationalsozialismus“, die vom Fachbereich Architektur veranstaltet wird. Im Rahmen des HdK-Projekts „50 Jahre danach - Im Herzen Europas„ befassen sich während des gesamten Wintersemesters die verschiedenen Fachbereiche mit den Verflechtungen der polnischen und der deutschen Kultur.

„Unterdrückung

der deutschen Eiche“

„Zäh und schwierig“, sagt Gröning, sei die Recherche des weitestgehend tabuisierten Themenbereichs der nationalsozialistischen Landschaftsarchitektur, für deren Entwicklung die Besetzung Polens einen unvergleichlichen Höhepunkt darstellte: Mit den „eingegliederten Ostgebieten“ stand plötzlich ein 90.000 Quadratkilometer großes Gebiet zwecks Gestaltung eines „Gesamtraumkunstwerks“ zur Verfügung. Die „totale Planung“ brauchte hier keine Rücksicht auf die Bevölkerung zu nehmen, da die polnischen und jüdischen Bewohner in das „Generalgouvernement Polen“ deportiert wurden. Direkt nach Ende des Polenkrieges ist mit der sogenannten Aussiedlung des „fremden Volkstums“ begonnen worden, die für die Beteiligten größtenteils in den Konzentrationslagern endete.

Der Katalog der landesplanerischen Ausfälle gegen die in den „Ostgebieten“ ansässigen Bewohner versammelt eine Reihe von grotesken Behauptungen: Da heißt es zum Beispiel, „daß die Polen die deutschen Bäume wie Eichen, Linden usw. unterdrückt und statt ihrer fremde Gehölzarten wie amerikanische Eichen, Ahorn und andere eingeführt haben.“ Überhaupt sei die Landschaft in den „Ostgebieten“ „durch das kulturelle Unvermögen fremden Volkstums vernachlässigt, verödet und durch Raubbau verwüstet“.

Dagegen galt es nun vorzugehen, indem das Land zunächst einmal von den „unharmonischen Fremdkörpern“ geräumt werden sollte. An der Grenze zum „Generalgouvernement“ plante man, einen „Wall deutschen Volkstums“ zu errichten und eine „Wehrlandschaft“ zu gestalten, an deren exponierten Punkten sogenannte „Kampfwälder“ angelegt werden sollten.

Wehrlandschaft

mit Ewigkeitswert

Zur Umsetzung des von NS-Planer Wiepking 1942 entwickelten Konzepts der „Wehrlandschaft“ war es nötig, zunächst einmal „die Landschaft in militärischer Hinsicht (...) sorgfältig abzutasten. Die Lösung der Aufgabe wird nur einem Landschafter gelingen können, der soldatisch und ganzheitlich zu denken vermag“. Aus strategischen Gründen sollten im neuen deutschen Osten die sogenannten Schutzpflanzungen angelegt werden, insbesondere „doppelte und hohe Wallhecken mit tiefen Grabenaushüben“, die ein „unüberwindliches Hindernis auch für Panzer“ bilden, „bei sachgemäßer Pflege des Bestandes Ewigkeitswert“ besitzen und möglichst in Nord-Süd-Richtung verlaufen würden. Die Flüsse der „Ostgebiete“ sollten eine Fremd- und eine Freundseite, das heißt eine offene und eine Deckung bietende Seite bekommen etc.

Diese nach militärisch-paranoiden Gesichtspunkten gestaltete Landschaft wollte dann der Diplom-Landwirt Himmler mit sogenannten Wehrbauernhöfen überziehen, die nach dem Krieg von SS-Soldaten als politischer und rassischer Führungselite übernommen werden sollten. Für die anderen neu anzusiedelnden „vollwertigen Volksgenossen“, für die Bauern und Handwerkerfamilien waren „helle, frohe Siedlungen mit Kleingärten“ geplant, die, straff durchorganisiert, sich in Hauptdörfer, Amtsstädtchen und Kreisstädte aufgegliedern würden.

Ganzheitliche Ausrottung

Daß die nationalsozialistische Totalplanung vom Ganzheitsdenken motiviert und geprägt war, macht Wiepking immer wieder deutlich, der diesen Gedanken 1940 als „den Kernpunkt des Umbruchs unserer Zeit“ erkannte. Dieser auch heute wieder en vogue geratenen Ganzheitsfaszination liegt der Wunsch zu Grunde, die Welt, wie sie ist und zu sein hat, restlos zu erfassen und zu kontrollieren. „Ganzheitlich“ verfuhren die NS-Planungsinstanzen gerade dort, wo sie über die Ausrottung und Neuansiedlung von Pflanzen, Menschen und Ortschaften gleichermaßen autoritär verfügten. All das, was in dieser Ganzheit nicht aufging, das „fremdländische Gehölz“, die „Untermenschen“, sollte der Vernichtung anheimfallen.

Altüberlieferte Bauernblumen

Der „Auffassung des Lebensraumes eines Volkes als eines einheitlich zu planenden Gesamtkunstwerks“ (Wiepking 1940) entsprach nicht nur die stereotype Durchgestaltung der neu anzulegenden Dörfer, deren Kernpunkte Einrichtungen wie Schießplätze, Glockenturm, Feierhalle und Aufmarschplatz bildeten. Die totale Planung dieser Anlagen, die „altgermanische Vorstellungen mit eigener Symbolkraft“ verkörpern sollten, ließ den Bewohnern nicht einmal die Chance, ihre eigenen „Kleingärten“ eigenständig zu bepflanzen. Die NS-Landespflege sah vor, daß hier „die Kultur altüberlieferter Bauernblumen, Küchen- und Heilkräuter zu pflegen“ sei. Pflanzen, die „Hänge-, Dreh-, Kümmer oder Steilwuchs zeigen“, sollten entfernt und durch „nur heimische und standortgerechte Pflanzen aus Sämlingen bester Rasse“ ersetzt werden. Der Spießer, inmitten seiner „arteigenen“ Umwelt thronend, avanciert hier, wie Pniower 1952 bemerkt, „zum aufgeordneten Herrenmenschen, zur ragenden Eiche über allem menschlichen Unkraut ringsherum.“

Geworden ist aus diesen hochfahrenden Plänen vermutlich nicht viel. Ein paar Baumschulen sind gerade noch angelegt worden, da man 1/9 der Gesamtfläche, also rund eine Million Hektar Land aufzuforsten plante. Dieses Aufforstungsprojekt macht übrigens deutlich, wie sehr die „eingegliederten Ostgebiete“ als wirtschaftliches Ausbeutungsobjekt betrachtet worden sind. Im Rahmen der kriegsnotwendigen Holzproduktion waren plötzlich auch fremdländische Gehölzarten wieder erwünscht und angepflanzt worden.

Daß man von den Visionen „altvertrauter, heimischer Gestaltungseinheiten“ im Laufe des Krieges immer mehr Abstand genommen hat, darauf verweist auch die Tatsache, daß im Jahr 1943 die Verwendung von Betonfertigteilen „im Landbau des Ostens“ doch wieder empfohlen wurde.

Dagegen ist die „Ausschaltung“ von „volksfremden Bevölkerungsteilen“, wie die Deportation und Vernichtung von Polen und Juden genannt wurde, von den NS-Behörden seit dem Oktober 1939 rigoros und konsequent betrieben worden; mehrere Hunderttausend der in den „Ostgebieten“ ansässigen Bewohner hat man auf diese Weise „ausgesiedelt“. Was die Praktiken der Ansiedlung volksdeutscher „bäuerlicher Stämme“ im „Warthegau“ über die deutsche Inbesitznahme polnischen Eigentums betrifft, sei auf Melitta Maschmanns 1963 erschienenes Buch „Fazit“ verwiesen.

Himmlers Heimatliebe

Nach Gröning war die in Sachen Landespflege in den „eingegliederten Ostgebieten“ entscheidende Behörde das Planungsamt des Reichskommissariats für die Festigung des deutschen Volkstums mit Sitz in der Dahlemer Podbielskiallee. Die dort wirkenden Planer entstammen größtenteils der bürgerlichen Jugendbewegung. Das mag wenigstens teilweise erklären, warum sie ihr Heil in den Entwürfen dörflicher Idyllen suchten, demgegenüber der „Lebensraum“ Stadt beziehungsweise Großstadt weitaus weniger Beachtung fand. Die „Heimatliebe“ des Reichskommissars Himmler äußerte sich dann zum Beispiel auch darin, daß er für die Konzentrationslager Dachau und Esterwegen die Ansiedlung von Störchen anregte: „Um ein Aussterben dieser ebenso nützlichen wie im Kindermund bekannten und populären Tierart vorzubeugen, wurde die Aufnahme und Pflege dieser Tiere in den Lagern mit besonderer Sorgfalt vorbereitet und durchgeführt.“

Die Landschaftsplaner Wiepking, Mäding und Meyer, die alle im Dahlemer Planungsamt an der Entwicklung der „tödlichen Landschaftsplanung“ (Gröning) mitgewirkt haben, konnten nach 1945 mit wenigen Jahren Unterbrechung ihre Arbeit fortsetzen: Bis ins hohe Alter hinein waren sie alle an der späteren TU Hannover Lehrstuhlinhaber und unterrichteten dort die künftigen Landschaftsplaner in ihrem Fach.

Insa Eschebach

(Alle Zitate stammen aus: G. Gröning, J. Wolschke-Bulmahn, Die Liebe zur Landschaft. Teil3: Der Drang nach Osten. München 1987, Minerva)

Die noch folgenden Vorträge aus der Reihe: „Planung in Polen im Nationalsozialismus“:

5.Dezember 1989 - B. Wasser, Die Umsetzung des

Generalplans Ost im Distrikt Lublin.

12.Dezember 1989 - W. Wippermann, Der deutsche Drang nach Osten.

16.Januar 1990 - C. Madajczyk, Der Generalplan Ost.

6.Februar - J.-F. Geist, Der Hakenkreuzzug nach Osten.

Die Vorträge finden jeweils von 18 bis 20 Uhr in der HdK, Hardenbergstraße 33, Raum 310 statt.

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