piwik no script img

Swinging Metropolis

■ 53. Kleins Welten

„Von mir aus schlaft euch selber bei! / Und schlaft mit Drossel, Fink und Star / und Brehms gesamter Vogelschar - / mir ist es einerlei. / Nur schreit nicht dauernd wie am Spieß, / was ihr für tolle Kerle wärt! / Bloß weil ihr hintenrum verkehrt, / seid ihr noch nicht Genies...! / Na ja, das wäre dies.“

Da ist einer genervt über Berlins extrovertierte Vögelschar. Einer, der Erich Kästner heißt und dessen letzte Strophe des Gedichtes „Ragout fin de Siecle“ hier zitiert ward. Dennoch: alle, alle tragen sie bei zum nimmer versiegen wollenden Touristenstrom ins verrucht flirrende Babel an der Spree. „Jeder einmal in Berlin!“ lautet die Parole, und so steht's auch auf der Bauchbinde des Führer(s) durch das lasterhafte Berlin.

Nein nein, kein Kleidungsstück des GröFaZ ist gemeint, noch ist es nicht so weit, sondern ein 1931 erschienenes Büchlein, um das herum es weiter heißt: „Alles gesehen und alles erlebt! Der amüsante Führer und Sittenschilderer der Großstadt, mit vielen farbigen Bildern erster Künstler!“ Das eine oder andere - wenngleich nur schwarzweiß - dient auch zur Illustration dieser Serie. Seit zwei Jahren liegt sofern nicht vergriffen - ein wunderschöner, originalgetreuer Nachdruck der Edition Divan vor.

1918 bereits entdecken einige Kritiker „perverse Erscheinungsformen im Unterhaltungswesen. Eine Person, die eben den Fahrstuhl zum Erfolg bestieg, wird besonders aufs Korn genommen, ein bislang unbekannter Varietedirektor, der von heut‘ auf morgen heiß umstritten durch die Presse spektakelt: James Klein, von Herbert Ihering als „unmöglicher Direktor“ bezeichnet und bezichtigt, „politische Taktlosigkeiten der gröbsten Art“ zu produzieren (Vossische Zeitung). Stein des Anstoßes sind die Revuen des Herrn Klein, Novität fürs deutsche Land und erst mal patriotisch umgetauft in „Ausstattungsschauen“, deren er anfangs mindestens eine pro Jahr über die Bühne des Appollo-Theaters jagt. Globaler Pomp schlägt sich schon in den Titeln nieder, die da lauten „Die Welt geht unter“, „Die Welt im Jahre 2000“ und „Rund um die Welt“.

Vorbereitende Experimente des Schauspielers & Textdichters, des „dramatischen Wunderjünglings“, wie das Berliner Tageblatt bereits den Siebzehnjährigen zu nennen beliebt hatte, datieren zurück bis zum Jahrhundertbeginn. Mit seinem Stück „Die Sittenbrecher“ (O nackte Nachtigall, schon hör‘ ick dein obszönes Trapsen!) tingelte er 1907 zwischen Passau & Stettin. Als 24jähriger Direktor des Walhalla-Theaters nimmt er Elemente der Revue in eigentlich noch klassischen Varieteprogrammen vorweg. Als der Laden 1912 dichtmachen muß, wird einerseits ein neuer Begriff Allgemeingut, ergibt sich andererseits für Klein die Chance, mit langen Schritten der großen ShowKarriere entgegen zu eilen. Die Woche kommentiert jene Situation: „Die Zusammenbrüche von Theaterdirektoren mehren sich in so erschreckender Weise, daß man eine kurze, prägnante Kollektivbezeichnung für die sich häufenden Fälle suchte, und so wurde der deutsche Wortschatz durch das aus der Gaunersprache stammende Wort 'Pleite‘ (...) verhäßlicht. - In Theaterkreisen stand aber merkwürdigerweise trotzdem allgemein fest, daß für Theaterunternehmen in Berlin jederzeit Geld zu haben sein.“

Und Geld will er machen, der im Programmheft des Apollo -Theaters unverblümt seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, daß dieses sein „so schwer zustande gebrachtes Gastspiel den erhofften künstlerischen und sonstigen (sic! NT) Erfolg haben wird“. Mit Erwerb der Komischen Oper schnackelt's dann auch endgültig. „Der Herr der Welt“ heißt die erste, sich bescheidener besinnend auf einen Teil derselben „Europa spricht davon“ die zweite Ausstattungsrevue in diesem Haus; und davon spricht zumindest Deutschland so intensiv, daß ihr die sensationelle Spielzeit von einem Jahr beschieden ist. Der Börsen-Courier verfällt 1921 in jubelnde Mode -Termini: „Jemand hat (...) wahrhaftig die Kunst des Goldmachens erfunden, und der alte Erdball kracht in seinen Fugen. (...) Immerhin entstand auf diesem reichlich komplizierten Weg ein Compere der Revue, dem die Commere in Gestalt des 'Genius‘ beigegeben wurde. (...) Es ist das Rezept des Metropoltheaters von einst.“

Ab sofort wird's nackt, nackter, am nacktesten. Der Startschuß ist gefallen zum Konkurrenzkampf der Fleischbeschau, zum Wettkitzel der Sinne, ausgetragen von den Inszenatoren James Klein, Herman Haller & Erik Charell, die unter die Lupe zu nehmen wir uns anschicken auf den Spuren Wolfgang Jansens, dessen opulenter Band Glanzrevuen der zwanziger Jahre (Edition Hentrich) hiermit ein weiteres Mal ausdrücklich empfohlen sei.

Norbert Tefelski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen