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Schlüssel zur neuen, ganz alten Stadt

■ Handbuch für Ihre Reise zur polnischen Partnerstadt „Danzig/Gdansk“

103 Kilometer weiter, am Frischen Haff, mit Schiff oder Auto erreichbar, hinter ökologischen Verhunzungen und seidenweichen, weißen Stränden, liegt Fromborg. Hier hat Nikolaus Kopernicus mit „de revolutionibus orbium coelestium“ das Weltall revolutioniert. Auf dem Weg dahin kommen Sie an Sztutowo vorbei. Hier bauten ab dem 2. September 1939 Häftlinge aus Danzig, von SS-Männern bewacht, das KZ Stutthof. 1942, als der Friedhof Saspe in Danzig-Langfuhr nicht mehr ausreichte, wurde ein Krematorium gebaut, 1944 eine Gaskammer.

Langfuhr steht noch. Sonst wenig von Danzig. Günther Grass wuchs in Langfuhr auf „zwischen dem Heiligen Geist und Hitlers Bild:“

Das hieß mal so, heut heißt es so.

Dort wohnten bis, von dann an wohnten.

Ich buchstabiere: Wrzeszcz hieß es früher.

Das Haus blieb stehen, nur der Putz.

Den Friedhof, den ich, gibts nicht mehr.

Wo damals Zäune, kann heut jeder.

So gotisch denkt sich Gott was aus.

Denn man hat wieder für viel Geld.

Ich zählte Giebel, keiner fehlte:

Das Mittelalter holt sich ein.

Grass‘ „gekappte Sätze“ über „Kleckersburg“, dem Buch vorangestellt, sind wie Schlüssellöcher, durch die man auf diese Stadt an der Ostsee linsen kann. Die Schlüssel finden sich in dem Buch. Der Temmen-Verlag hat mit Gdansk/Danzig den dritten Band seiner Reihe über Bremer Partnerstädte herausgebracht. Wie die Riga-und Rostockbände ist er praktisches „Reisebuch“, das über Einreisebestimmungen, Striptease, Devisen und Reiserouten orientiert. Schwerpunkt und Bonbons aber liegen im „Lesebuch“, einer sozial-wirtschafts-und kulturgeschichtlichen Fundgrube, mit Bildern, Quellen, einer aktuellen Statistik der Lebenshaltungskosten, Gang durch Langfuhr auf Oskar Matzeraths Spuren, Chronik der politischen Wellen, die 1970 mit dem Streik auf der Lenin -Werft begannen und 1989 zur Regierung Mazowiecki geführt haben: Krystina

und Heiner Heseler kennen sich aus in dem, worüber sie berichten. Krystina Heseler ist aus Gdansk. Sie hat ihren Mann kennengelernt, als er 1980 im Rahmen der Kooperation der Unis der beiden alten Hansestädte nach Gdansk kam. Die eheliche wie die schreibende Partnerschaft ist die Fortsetzung der Städtepartnerschaft mit intensivierten Mitteln.

Die Partnerschaft Bremen-Gdansk - das erläuterte ihr Promotor Hans Koschnick, Autor der Seiten über die Städtepartnerschaft - war die erste Bremens und wurde Pionier für die östlichen Stadtpartnerschaften der BRD. Dabei sollen nicht (nur) die Obermotze miteinander tafeln, sondern auch Sie und ich ein bißchen was Richtiges über diese Stadt erfahren, in der der 2. Weltkrieg anfing, nach dem die zu 95 % neuen GdanskerInnen die gotische Altstadt neu bauten und wo mit Solidarnosc der Ausgang aus dem unverschuldeten Mittelalter

begann.

Uta Stolle

Krystina und Heiner Heseler: Danzig /Gdansk. Stadt an der Bucht. Edition Temmen. 19.80 DM

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