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Mit Capoeira und T'ai Chi

400 TeilnehmerInnen beim „4. Spiel- und Bewegungsmarkt“  ■  PRESS-SCHLAG

Anything goes - weil alles die gleiche Gültigkeit besitzt. Über den improvisierten Ladentisch im Mensa-Foyer der Uni Oldenburg geht vom Einrad über die Pappnase bis zum Devil -Stick alles, was im Supermarkt der Kleinkünste derzeit gefragt ist. Interessant ist das Produkt, nicht die Kultur, der es entstammt. So liegen die Chi-Gong-Kugeln (China, Gesundheitstherapie) neben den Jonglierkugeln (Westen, Zirkus) und den Petanque-Kugeln (Frankreich, Rotwein und Gitane-Stummel) und niemand wundert sich.

Vielfalt oder Beliebigkeit - das war das eigentliche Thema des 4. Spiel- und Bewegungsmarktes in Oldenburg. Nach langen Jahren der Veränderungsentwürfe nun die Pluralität der Stile, geduldet ohne Debatte. Die Vorlieben der angereisten Bewegungskultur-Enthusiasten hatten sich rasch herausgestellt: dem Run auf die angebotenen sechzig Praxis -Workshops stand ein nur sehr spärliches Publikum bei den begleitenden Diskussionsforen gegenüber. Macher und Vermarkter beherrschten das traditionelle Treffen, ausgerichtet am vergangenen Wochenende vom Zentrum für Hochschulsport an der Universität Oldenburg.

Das „andere“ Sportverständnis, auf dessen Spuren so viele in den Norden gekommen waren, entpuppte sich als ein großer Gemischtwarenladen. Bestseller sind da noch immer die Ethno -Mix-Bewegungsformen: die ostasiatischen Meditationstechniken T'ai Chi Chuan, Aikido oder Spielarten des Yoga, auf westliches Fassungsvermögen zugeschnitten, die brasilianischen Tanztraditionen der Samba Batucada oder des Capoeira.

Daneben fanden sich im übervollen Angebot viele circensische Künste, etwas Pantomime, ein wenig Akrobatik und sehr viel Jonglage. Workshops also, wie ein Teilnehmer befand, in denen sich Erwachsene mit sich selber beschäftigen. Pädagogisch intendierte Angebote, die der Sportpädagogik oder verwandten Disziplinen entstammen, die anhand eines breiten Spektrums (am Wasser, auf Rollen, mit Tuch, Theater und Tanz) vermitteln könnten, wie Bewegungserziehung mit Lust und ohne maßregelnde Normen möglich ist, kamen dennoch nicht zu kurz.

Viel mitkriegen und ordentlich mischen, ohne roten Faden und allzuviele Fragen. Freitags zum Aperitiv zwei Stunden „Meditatives Bewegungserleben“, am nächsten Morgen „Krokodile im Ballontuch“ und zum Lunch „Spiele mit der Frisbeescheibe“, als Ausklang eine Prise „Bauchtanz“ oder einen Hauch „Samba“. Rainer Pawelke, Leiter der Traumfabrik in Regensburg, vermutete dahinter viel Rezeptklau. Aus den einstigen Ideen, die andere Wege und Prozesse deutlich machten, seien die Endprodukte herausdestilliert worden und fänden sich heute als schlechte Plagiate wieder. Technikorientiert und fixiert auf das Meister -Schülerverhältnis.

Die alternative Spiel- und Bewegungskultur, Ende der siebziger Jahre als Erweiterung der Erlebnisformen und Ideologiekritik in Ablehnung des traditionellen Sports entstanden, scheint augenblicklich über ein schier unerschöpfliches Reservoir an Praxis hinaus nichts Neues mehr bieten zu können. Aus dem gesellschaftlichen Utopieentwurf, Anwalt der kollektiven Bewegungsinteressen sein zu wollen, ist eine Nischenkultur geworden, umgeben von den kommerziellen Nutznießern und entkleidet aller politischen Zusammenhänge.

Bestätigt wurde das von den zwei profiliertesten SportpolitikerInnen rot-grüner Koalitionen. Sylvia Schenk (SPD), Frankfurts neue Sportdezernentin und Hans-Jürgen Kuhn (AL), Berlins Sport-Staatssekretär, ließen bei ihrem Besuch des Oldenburger Bewegungsmarktes durchblicken, wie sehr sie zu Hause den fordernden oder stützenden Druck der alternativen Sport- und Bewegungsszene zu spüren bekommen: gar nicht.

Andreas Hoetzel

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