HOCHSCHULE DES VOLKES

■ Afrikanische Filme im Arsenal

Der Gott des Donners, Emitai in einer der senegalesischen Sprachen, eröffnete am vergangenen Donnerstag die Reihe von afrikanischen Filmen, die einen Überblick über die wichtigsten Kinoproduktionen Afrikas bieten will. Eine Woche zuvor wurde zur Einführung ein Panoramafilm mit Interviews und Filmausschnitten verschiedener afrikanischer Regisseure gezeigt. Das afrikanische Kino ist ein junges Kino, es hat in den drei Jahrzehnten seiner Existenz (seit der Unabhängigkeit Westafrikas) insgesamt so viele Autorenfilme hervorgebracht wie Südamerika in einem Jahr. Aber obwohl es schwierigsten Realisations-, Verleih- und Zensurbedingungen unterworfen ist, hat es sich inzwischen eine Position auf dem internationalen Filmmarkt erkämpft. Es lebt vor allem von der Suche der afrikanischen Länder nach nationaler Identität und erzählt von den Schwierigkeiten, die mit dieser Wiederbelebung der teilweise zerstörten eigenen Kultur verbunden sind.

Ousmane Sembene, der Regisseur von Emitai, einer der bedeutendsten Filmemacher Afrikas, kommt aus Senegal und damit aus dem Land, das in der afrikanischen Filmproduktion führend ist. Sembene, der unter anderem zehn Jahre als Hafenarbeiter in Marseille gearbeitet hat, begreift sein Kino als Hochschule des Volkes. Der großen Anzahl von Analphabeten erzählt er die Geschichten ihrer Unterdrückung: die des Kutschers, der nur die Außenbezirke von Dakar befahren darf; des schwarzen Dienstmädchens, das Selbstmord begeht; des Mittellosen, der dank einer Postanweisung in noch größere finanzielle Bedrängnis gerät.

Emitai versetzt in ein Dorf zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Bewohner verweigern die von der französischen Besatzungsmacht geforderten Reislieferungen, weil ihnen der Reis als Subsistenzgrundlage heilig ist. Als die Armee sie zu erschießen droht und die Frauen als Gefangene auf dem Dorfplatz zusammentreibt, fragen die Männer in einem langwierigen Opferzeremoniell bei ihren Göttern an. Die Hektik der französischen Militärs kontrastiert in geradezu komischer Weise mit der Zeitfülle, die den Schwarzen zur Durchführung ihrer sakralen Handlung zur Verfügung steht. Zwei Dorfbewohner werden angeschossen und sterben, und nun muß vor den Bestattungsriten sowieso alles andere zurücktreten.

Die Zerstörung der alten Ordnung ist indes schon passiert: Die Männer beginnen an der Macht der Götter zu zweifeln, die sie vor den weißen Besatzern nicht beschützen konnten. Und weil sie zweifeln, können sie die Botschaft der Götter nicht mehr empfangen, sie liefern den Reis also aus. In einer letzten Geste der Auflehnung weigern sie sich auf halbem Weg, den Reis weiterzutragen - da werden die Gewehre doch noch gegen sie angelegt.

Die Vernichtung gewachsener ethnischer Strukturen wird hier aus einem Blickwinkel erzählt, der nicht von unseren Schuldgefühlen und Mitleidsethik weiß, der das Sterben als etwas Selbstverständliches nimmt. Keine drastischen Bilder begleiten den Tod der erschossenen Männer, die Kamera, die sich so ruhig und abwartend verhält wie die Bewohner des Dorfes, erzählt von einem Leben in absichtsloser Geborgenheit. Das große Europa ist nur Auslöser für eine Chaplineske, wie wenn das Plakat des Marechal Petain durch das des General de Gaulle ersetzt wird und ein Schwarzer sich wundert, wie ein „Häuptling“ mit sieben Sternen von einem mit zwei Sternen abgelöst werden kann. Diesem cinema verite gelingt eine unangestrengte Verbindung von Ethnologie und Spielfilmdramaturgie. Nach diesem Film fragt man sich als Europäer, warum das Filmemachen hierzulande so zum Problem geworden ist.

Michaela Ott

Heute um 18 Uhr „Ceddo“ von Ousmane Sembene mit einer Einleitung von Karsten Witte im Arsenal.