: Biermann singt in Leipzig
■ Die SED springt über ihren eigenen Schatten: Der Liedermacher Wolf Biermann darf morgen in Leipzig ein Konzert geben / Noch vor zwei Wochen war sein Auftritt abgesagt worden, weil sich Krenz beleidigt fühlte
Berlin (taz) - Nu wird es doch noch was: Nach langem hin und her hat sich die SED-Führung durchgerungen, den seit 1976 ausgebürgerten Barden Biermann in der DDR singen zu lassen.
Der neue Kulturminister Dietmar Keller kündigte gestern überraschend an, daß Biermann am Freitag in Leipzig ein Konzert geben und am Sonnabend in Ost-Berlin erwartet wird.
Wolf Biermann hatte bereits vergeblich versucht, an der großen Demonstration am 4. November auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz teilzunehmen, wozu ihn Bärbel Bohley vom „Neuen Forum“ eingeladen hatte. Aber die Grenzer am Übergang Friedrichstraße wiesen ihn zurück.
Auch ein am 14. November geplantes Konzert in der Ost -Berliner Samaritergemeinde fiel aus, weil der Liedermacher immer noch keine Einreiseerlaubnis erhielt. Offenbar hatte er dem neuen Staatschef der DDR, Egon Krenz, zu sehr auf die Füße getreten.
In einem vom Deutschlandfunk gesendeten Telefongespräch mit Bärbel Bohley hatte Biermann von „verdorbenen Greisen“ im Politbüro gesprochen und Krenz als den „miesesten aller Kandidaten“ bezeichnet und ihn auch den „ewig lächelnden Idioten in dieser Riege“ genannt.
„Er bleckt immer die Zähne als Berufsoptimist in diesem Trauerverein.“ Und in einem anderen Zusammenhang schrieb Biermann: „Ich rede nicht von Krenz und Konsorten. Was wird mit solchen vitalen Wendehälsen und immer noch karrieregeilen Einpeitschern und Scharfmachern von gestern wie Hermann Kant und Klaus Höpcke?“
In der taz schrieb Biermann kürzlich über die Veränderungen in der DDR, was jetzt dort passiere, habe er 25 Jahre lang „herbeigesehnt und herbeigesungen und herbeigeredet“. Er könnte weinen vor Freude darüber, „daß alles so leicht und so schnell ging“, fügte aber hinzu: „Und weinen muß ich vor Zorn, weil es so elend lange gedauert hat. Mir geht plötzlich alles zu flott, und es hat mich zu viel Lebenszeit gekostet.“ Seit November 1965 bis heute sei er in der DDR verboten gewesen. „Nun ist es wieder November geworden.“
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