: Hört endlich auf mit Euren Phrasen
■ Grünes Podium mit Freya Klier, Thomas Schmid, Dirk Schneider zur „Deutschen Frage“
Nicht der erwartbare Disput zwischen dem „ständigen Vertreter der DDR bei den Grünen„(Joschka F.) Dirk Schneider, Al Berlin, und der 1988 aus der DDR abgeschobenen Widerständlerin Freya Klier war der Gewinn der Podiumsdiskussion des grünen Bildungswerkes über die „Deutsche Frage“. Schneider, 1957 als Adenauer-und Straußfan dem DDR-Sozialismus entlaufen, war als SED-Paulus nicht zu beirren, „daß die SED in der Volksbewegung mit drinsteckt“ und daß „vom Sozialismus die ganze Zeit etwas am Wirken gewesen ist, das jetzt zum Blühen kommt.“ Der Gewinn lag in Freya Kliers DDR-Kenntnis und Thomas Schmids Graswurzeloptik.
„Wenn Ihr nicht endlich aufhört mit Euren Phrasen,“ sagte Freya Klier, „und mitkriegt, was eigentlich los ist in der DDR, dann sehe ich eine große Gefahr.“ Freya Klier wandte sich gegen die „herablassenden Fehlurteile“ von allwissender Linker und SPD, die die DDR- Opposition auf verlassenem Posten“ habe kämpfen lassen.
In der DDR findet keine „Revolution“ statt, sondern „Aufbruch und Zusammenbruch“. Der „Wutzusammenschluß“ nach Wahlbetrug und Fluchtwelle im Sommer 89 hat eine Kraft hervorgebracht, „die abschaffen kann, aber kein Programm hat.“ BRD-Parolen wie „der Sozialismus in der DDR ist tot“ gehen vorbei an einer Entwicklung, in der humanistische Sozialisten aus der DDR bald in sowjetische KZs gesteckt wurden, bis zum Mauerbau 2.3 Millionen in den Westen flohen, viele aus „Verzweiflung über die Verhinderung des Sozialismus“ und in der später die SED gerade „die geistig wichtigen Menschen“ aus dem Land drängte. Resultat: Oppositionelle Gruppen mit „Spuren von Sektierertum“, die aus dem jahrelangen, von allen guten Linken verlassenen, „verzweifelten Gegenhalten in Hinterzimmern“ hervorgingen; Literaten, deren Bekenntnis zum Sozialismus durch ihr jahrelanges Westreiseprivileg diskredidiert ist und eine große Mehrheit „mit einem fundamentalen Werteverlust in Sachen Sozialis
mus“. Freya Klier ist sehr beunruhigt über die rasch steigende Erbitterung unter dieser Mehrheit, den auf die Polen übertragener Russenhaß. Bisher Tabuierteskomme jetzt hoch. „Das schlägt stark nach rechts aus.“ Klier appellierte, auf die DDR-Bürger zuzugehen, ihre Feindbilder abzutauen, miteinander Schritte voran zu gehen, ökologisch zusammenzuarbeiten.
homas Schmid:Auch wenn die Linke die „Deutsche Frage“ mit windigen Argumenten für inexistent erklärt, ist diese offen; um so mehr als die Bevölkerung beider deutscher Staaten nicht darum gefragt worden ist und alle drei Begründungen für die Zweistaatlichkeit falsch sind: die Teilung als Strafe für Auschwitz und die Weltkriege ist als Kollektivstrafe eine „zutiefst autoritäre Vorstellung„; das Argumentieren mit dem europäischen Gleichgewicht ignoriere die Freiheitsbestrebungen der mitteleuro päischen Gesellschaf ten.“ Und gegen die DDR als HOrt des Sozialismus, da hätte CSU-Waigel recht, spreche, daß
er „tot“ sei. Weil er sich erstens nicht mit Freiheit vertrage, zweitens nicht funktioniere.
Auf der andern Seite wendet sich Schmid gegen die von Kanzler Kohl mit „unwürdiger“ SPD-Akklamation dumpf -erpresserische Wiedervereinigungspolitik. Die DDR braucht bei ihrem einzigartigen Versuch, selber ihre gesellschaftliche Verfassung („Gesellschaftsvertrag“) debattierend, „athenisch“ zu finden: Zeit, weniger massenängstliche Oppositionsgruppen, Schutz gegen die Käufer von der CDU und die Ausverkäufer von der SED. Schutz für eine langsamere und intensivere Lebensweise gegen Expansion und Beschleunigung. Zentral bei dem ökolibertären Schmid war die durch die DDR befügelte Hoffnung auf eine graswurzelig konstituierte Gesellschaftsordnung, die den Rahmen setzen muß für welche Wirtschaftsordnung auch immer. Der ausgebliebene Aufstand gegen die MBB-Daimler-Fusion („SED„sierung der BRD) illustriere unsere Lernbedarf in dieser Richtung.
Uta Stolle
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