: LEUTE VON HEUTE
■ KLATSCH VON GESTERN
Die grenzüberschreitende Welt hat sich verkehrt. Schlangen gibt's jetzt nicht mehr bei der Ausreise aus der DDR, warten muß jetzt, wer rein will. Am Samstag mittag ging auf der Glienicker Brücke gar nichts mehr. Eine Stunde Stau. Doch der Bundestagsabgeordnete und Grünen-Dissident Otto Schily hat's rechtzeitig geschafft, nach Potsdam zu kommen. Das Neue Forum hatte ihn als Redner für die Demonstration gegen Wiedervereinigung eingeladen. Den Demozug verließ der SPD -Mann dann verfrüht und eilte quer über die Abbruchlücken des Holländischen Viertels davon. Schily war im übrigen nicht der einzige, der am Wochenende im Osten politisierte. Auf der Suche nach der radikalen Basis wurde auch die Berliner Bundestagsabgeordnete Siggi Fries am Freitag abend in Leipzig gesichtet. Abgestiegen war sie wie immer im Hotel Metropol. Vielleicht wollte sie ja auch bloß den alten Biermann sehen, der in der Messehalle unter den Scheinwerfern schwitzte, während sein Publikum am zugigen Veranstaltungsort fror. Da ging es der Berliner Kultur und Polit creme am Sonnabend im Haus der Jungen Talente schon besser. Bärbel Bohley war da und Ralf Hirsch. Der ganze Troß der Ex-Zonis war nach drüben gereist - Wolfgang Templin und Roland Jahn, dessen Monopol zum Verticken von Ost -Nachrichten in den letzten Wochen arg ins Wanken gekommen ist. Warm war's im Saal, und auch warm ums Herz wurde ihnen bei diesem Werkstattauftritt von „denen ausm Osten“, die erstmals wieder drüben auftraten. Nicht etwa im großen Saal wurde das Revival gefeiert, nein, exklusiv mit Live -Schaltungen zum Südwestfunk, dem Deutschlandfunk, dem Süddeutschen Rundfunk, DT 64 war dabei und jede Menge Fernsehen und Fotografen. Man muß schon Wolf Biermann heißen, wenn man bei einem solch extra inszenierten Spektakel den Fotografen das Auslösen verbietet - und dafür gar das Lied unterbricht und von vorne beginnt. Und es waren West-Fotografen, die sich einen solchen Eingriff in ihre Arbeit gefallen ließen. Es gibt eben einen großen Unterschied, zwischen denen, die ihre Rückkehr und sich selbst inszenieren, und denen, die einfach zurückkehren und dann da sind. So wie Eva-Maria Hagen, die mit tränennassem Gesicht sang und ohne jedes Leidenspathos und auch ohne Mahnungen und Besserwisserei auskam. Doch zurück zu den West -Ost-Polittouristen. Den medialen Blick über die Mauer wagte am letzten Donnerstag der CDU-Abgeordnete Uwe Lehmann -Brauns. Vertieft in die Lektüre des 'Neuen Deutschland‘, verbrachte er die Kaffepause während der Abgeordnetenhaussitzung im Casino. Auch die von der AL nominierte Schulsenatorin wollte den kleinen Grenzverkehr pflegen. Um ihren Kollegen in der „Hauptstadt“ kennenzulernen, verlegte Sibylle Volkholz kurzerhand die Kultusministerkonferenz auf den Molkenmarkt in Ost-Berlin. Die ortsunkundigen Dienstwagenfahrer kurvten mehrmals um den Platz, konnten das Gebäude aber nicht finden. Bis die handfeste Schulsenatorin zur Selbsthilfe griff. „Wo ist denn hier das Kultusministerium“, rief sie einem zu, der aus dem Fenster guckte. „Hier, zu wem wollen sie denn?“ Volkholz: „Zum Kultusminister“, und kriegt zur Antwort: „Prima, der bin ich!“. Viel Spaß beim Kennenlernen wünscht
Marianne
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