piwik no script img

Swinging Metropolis

■ 54. Girls Girls Girls

„Preisgekrönte Act-Modelle“ sind zu bewundern in James Kleins „Größtem Revue-Sensationsstück Tausend nackte Frauen!!„ (die Ausrufungszeichen gehören zum Titel), womit der Direktor endgültig als Erfinder der Nacktrevue in die Geschichte eingeht. Darüberhinaus vollbringt Hans Albers frühe Draufgängerleistungen, ist mehrfach im Programmheft abgebildet, doch keiner namentlichen Erwähnung für wert befunden. Anders „eine entzückende Odaliske“ namens Grethe Weiser, die mit dem damals sehr beliebten Tausend-Bühnen -Sassa Herbert Westermeier duettiert. Mehr Beene als Schnauze einsetzend zählt sie zu den vielen Debütantinnen, die vom aktuellen Girl-Fieber profitieren. Ebenso übrigens wie Marlene Dietrich, die dem Stall des Kleinkonkurrenten Erik Charell angehört. Darüber wird noch zu berichten sein und über die Haller-Girls, Berlins Antwort auf die internationale Truppe der Herren John & Lawrence Tiller.

Was aber ist das nun für eine Marotte mit den Girls? Ein feststehender Begriff jedenfalls, der nicht einfach mit „Mädels“ übersetzt werden darf. Wie frisch aus dumpfen Schicki-Gefilden, doch historisch interessant, stellt eine gewisse Ola Alsen unter dem Titel „Wißt ihr, Tiller -Girls...“ Überlegungen zum Zeitgeschmack an: „Wißt ihr, Tiller-Girls, daß ihr eine Weltrevolution heraufbeschworen habt, einen Stil schuft, den Tausende und Abertausende von Frauen mit und ohne Wissen und Absicht sich zu eigen zu machen suchten? 'Tiller-Girl‘ ist ein Begriff, der sich aus zahllosen Begriffen zusammensetzt, ein Mosaikbild aus braunen, blonden, schwarzen Köpfchen, lächelnden, träumerischen, gedankenschweren oder leichtsinnigen Gesichtchen, immer jedoch aus schmalen, trainierten Gestalten. Ihr seid nicht alle ganz schlank, repräsentiert zum Teil die moderne, sogenannte Vollschlankheit. Aber das fällt nicht auf, ist nur eine willkommene Nuancierung des Typs, den man gemeinhin Girl nennt. In der internationalen Weltsprache ist 'Girl‘ ein feststehendes Signum, eine aus der Zeit entstandene Erscheinung, vielleicht auch nur eine Mode. Vielleicht wird in den nächsten Jahren das Girl nur noch in der Revue existieren, im Leben wieder langsam verschwinden. Die Revueleiter und die tausend Kräfte, die mit ihnen Gemeinsames erstreben, eilen dem Zeitgeschmack voraus. Das Girl von vorgestern ist nicht mehr das Girl von heute, und das Girl von morgen wird eine neue Note haben. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, spürt diese Wandlung voraus. Ihr, die ihr bisher euren Stolz darein setztet, untadelige Körper unverhüllt zu zeigen, in vorbildlichem Rhythmus und Tempo nackte Arme und Beine schwanget, gradlinige Rücken zeigtet, schafft eine neue Mode. Nicht falsche Scham lenkte euer Augenmerk auf Kragen, lange Ärmel, kurzum Kleider, die deutlich eine Abkehr vom unbekleideten Körper darstellen. Ihr ahnt die Entwicklung der Weltmode voraus, spürt, daß die eleganten, kapriziösen, anspruchsvollen Frauen genug von den schlichten, mädchenhaften Kleidern haben, es nicht mehr lieben, Bescheidenheit im Anzug zu dokumentieren, auf keinen Fall etwas zu tragen wünschen, was allem und jedem zugänglich ist. Die Röcke neigen sich in kühnem Schwung rückwärts zur Erde. Scheinbar wirre Linien ergeben reizvolle Komplikationen. In Unordnung wurde System gebracht. Die jahrelang erkämpfte Schlankheit ist heute mehr denn je Bedingung. Nur um grazile Gestalten zieht sich fest und energievoll die kurze Taille, Verheimlichung erschwerend.

Wißt ihr, Tiller-Girls, mit euren weißsilbernen, mit euren bunt schillernden Kleidern plaudert ihr von neuen Wegen. Die Mode steht vor einem Wendepunkt, und ihr, Tiller-Girls, die ihr den Rhythmus des Körpers, der Exaktheit der Bewegung, die Schlankheit der Beine und die Grazie schöner Arme im bunten Spiel der Bühne predigt, zeigt mit stummem Begreifen euer Einverständnis an. Ihr habt viel dazu beigetragen, die Jugend für Sport und Tanz zu begeistern. Man eifert auf vielen Gebieten, um den Girl-Typ in äußerster Vollendung zu erreichen. Es ist nichts Seltenes, daß von der Bühne Moden, Sitten und Anschauungen ausgingen, die Welt zu erobern. Keine Macht besitzt jene zwingende, überzeugende Stärke wie das Rampenlicht. So errangt ihr, Tiller-Girls, einen nicht unbeträchtlichen Anteil an der rassigen Schlankheit der Frauen aller Länder.“ (Programmheft zur Revue „Schön und Schick“ von Herman Haller, 1929)

Norbert Tefelski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen