: ZWISCHEN DEN RILLEN
■ Neil Young in dieser historischen Sekunde der populären Musik
Musik
Ist das noch The Loner? Mit seinem altmodischen Bolschewistenkäppi und dem Anti-AKW-T-Shirt sieht er mittlerweile eher aus wie Udo Lindenberg. Frisch vom Gewerkschaftsjugendtreff, Mr. Young? Was soll dieser Strukturtapetenlook mit dem endlos wiederholten Namenszug im Hintergrund? Wie kommt es zu dem dick aufgetragenen amerikanischen Red-White-&-Blue-Pathos? Wieso überhaupt Rockin‘ in the free World? Und vor allem - das gleich vorneweg: Warum ist diese Platte trotzdem so gut?
An den Arrangements kann es nicht liegen. Sie sind durch und durch konventionell. Zwischen die Gitarrengewitter in Crazy-Horse-Manier schleicht sich schon mal die ein oder andere Dire-Straits-Gitarre. Kastagnetten machen auf Spanisch. Saxophone setzen Akzentschnickschnack. Und Someday ist, vom Text abgesehen, eine waschechte Springsteen-Ballade. Noch selten war eine Neil-Young-LP handwerklich so solide in Szene gesetzt. Darüber hinaus bietet Freedom nicht viel Unbekanntes. Immer noch fließen die Flüsse ins Meer, die Liebe hängt an einem dünnen Ast (Hangin‘ on a limb) und die Einsamkeit bestimmt den Ton: „Somewhere a blues guitar plays echoes in the alleyways“ (Eldorado).
Trotzdem ist die Figur des Guitar-man bei Neil Young mehr als nur Pose. Man nimmt ihm ab, daß er immer noch etwas von diesem fahrenden Songwriter hat, den der cheeseburgerkauende Produzent sich gerne ins Studio kaufen will: „But make sure that he's hungry / make sure he's alone.“ Crime in the City, aus dem diese Zeilen stammen, ist eine fast zehnminütige Szenenfolge über den momentanen Stand des amerikanischen Stadtalltags: Gewalt und Chancenlosigkeit als die Geschichte einer neuen Großen Depression. And the story was told - das ist das Entscheidende. Es ist nicht der einzige Song auf dieser LP, der mühelos an Young -Klassiker heranreicht, deren Aufzählung ich mir hier spare. Denn die Bedeutung dieser jüngsten LP liegt weniger in einzelnen Titeln als in einer Neudefinition der Youngschen Position im Verwertungsgefüge des Rock. Ähnlich wie das bekannte Dreifachalbum mit dem bezeichnenden Namen (allerdings mit neuen Songs) ist die überlange LP das Resultat einer Decade: ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Folksongs, Countryballaden und Rock'n'Roll, das erst als Summe und Rückblick aussagekräftig ist.
Wenn Freedom eines klar macht, dann folgendes: Neil Young will nicht mehr die graue Eminenz im Hintergrund sein, Bezugspunkt für ein ganzes Heer von Soundplünderern, bestenfalls: Brüdern im Geiste in Gestalt neuerer Gitarrenbands, deren Verehrung natürlich auch festlegt. Ebensowenig begnügt er sich mit der Rolle des Godfather of Punk (bekanntlich hat Young ja mit My my hey hey 1979 die erste Punkhymne eines Nichtpunks geschrieben). Die Message wäre also zu übersetzen mit: Ich bin zurück, auch wenn ich nie weg war. Freedom träumt, gerade als eine Art Greatest-hits-Platte, in depressivem Ernst den unmöglichen Traum von einem guten, anderen Amerika der unbestechlichen Einzelgänger. Sie ist eine Entscheidung gegen das Ghetto, aber auch keine für die bedingungslose Popularität und den Preis, den man dafür zu zahlen hat. Suchte man nach einem filmischen Pendant zu Freedom, so wäre es Colors von Dennis Hopper, aber eben nicht Letzte Ausfahrt Brooklyn. Young kehrt an die Grenze zwischen Pop und Rock zurück, in jenes gefährliche Gebiet, in dem nicht ausgemacht ist, wie der Koeffizient zwischen Massenwirksamkeit und Glaubwürdigkeit genau auszusehen hat, was er verträgt beziehungsweise wie er in seiner musikalischen Umsetzung klingen kann. Das heißt nichts anderes, als daß er die in der Kulturindustrie immer mitzudenkende Frage, wer wem (gewissermaßen als Button am Gesinnungs- und Geschmacksrevers) gehört, auch im Hinblick auf seine Fangemeinde nochmals neu stellt und gleichzeitig mit nahezu biblischem Gestus beantwortet: Wer Ohren hat zu hören, der höre.
Natürlich stimmt das nicht, ist die Einfachheit der Antwort letztlich falsch. Doch immerhin schafft Young es, in dieser (kann man auch schon nicht mehr hören, ich sag's trotzdem:) historischen Sekunde der populären Musik etwas von der Glaubwürdigkeit seiner Person und seiner Musik zu retten - vielleicht sogar neu zu formulieren. Wie traumwandlerisch sicher er dabei sein kann, zeigt sich gerade in der Neuaufnahme eines Titels, den ich zunächst nur mit Widerwillen anspielte, weil er gewissermaßen zum Standardrepertoire von auf Supermarkteröffnungen für Stimmung sorgenden Jazz-Bands gehört. Ausgerechnet On Broadway, das spätestens in der George-Benson-Version jedem nicht ganz hartherzigen Menschen zur reinen Pest werden mußte, gewinnt hier tatsächlich noch mal eine neue Qualität, und zwar ganz einfach, indem Neil Young ihn als Folksong auf der Elektrischen spielt. Wer sonst kriegt sowas hin?
Raus aus der Young-Spirale, um in Gestalt einer Band gleich wieder dort anzukommen, die LP für LP ihren unberechenbaren Exzentrikfolk ein paar Drehungen weiterentwickelt: Camper van Beethoven. Alles, was Neil Young verkörpert, ist hier gebrochen, aber lustig und sinnvoll gebrochen. Der Kopf der Band heißt Viktor Krummenacher, kein Name, der auf Anhieb zum Charisma taugt. Zunächst gelegentlich als Hippiespätgeburt belächelt, entpuppen sich Camper van Beethoven mehr und mehr als ironische Kommentatoren des Lebens auf dem Land und in der Vorstadt. Was mach‘ ich als Desperado, wenn ich im Lotto gewinne? Ich bau‘ ein Häuschen gleich neben Mister Red-White-&-Blue und verbrüdere mich mit ihm, bis die Knochen in die Grube poltern (When I win the lottery). Man sieht: Gerade der Humor hat hier etwas Unbarmherziges, so daß er in einer zweiten Sorte von Songs kaum merklich umschlägt ins Depressive und Selbstdestruktive. Darüber gießt die Geige von Morgan Fisher dann auch noch ihren Spott aus. Amerika ist das lustigste wahnsinnigste Land. Es ist überall. Wir feiern. It's Mardi Gras. Ich bin der Mann aus der Vorstadt, ich bin nun mal so, kannixdafür: I was born in a Laundromat.
Thomas Groß
-Neil Young: Freedom. Reprise/WEA
-Camper van Beethoven: Key Lime Pie. Virgin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen