Neues Forum spürt Druck der Basis

Distanzierung von Generalstreikplan / Im Januar werden Statut und Programm beschlossen / In deutscher Frage „nicht aussagefähig“ / Erstes gemeinsames Treffen von Sprecherrat und Initiativgruppe  ■  Aus Ost-Berlin A.Smoltczyk

Die Zeit läuft, die Basis rennt - und das Neue Forum versucht in basisdemokratischer Behäbigkeit Schritt an Schritt zu setzen. Die Furcht, von den Entwicklungen vor Ort überrollt zu werden, hing am Samstag im Französischen Dom wie ein Schatten über dem ersten gemeinsamen Treffen der beiden Leitungsgremien des Forums: dem Sprecherrat, in den die Bezirke ihre Vertreter schicken, und die Initiativgruppe um Bärbel Bohley und Gefährten.

Da war jener Aufruf zu einem landesweiten Generalstreik am 6.Dezember, den die Bezirksgruppe Karl-Marx-Stadt auf eigene Faust verkündet hatte, um dem Druck wachsender Ungeduld an der Basis zu begegnen: Nachdem in der Volkskammer am Freitag Details über Amtsmißbrauch der alten Führung aufgedeckt worden waren, hatten mehrere Basisgruppen die Offenlegung der SED-Finanzen, sofortige Schritte zur Trennung von Staat und Partei sowie die Auflösung der Betriebskampftruppen gefordert. Auch die „Vereinigung beider deutscher Staaten“ soll verlangt worden sein. Nur mühsam - die rebellischen Karl-Marx-Städter waren durch Dauerdebatten zu Hause am Erscheinen verhindert - konnte sich die Leitung zu einer Stellungnahme durchringen: „Streik ist ein legitimes Mittel, um Forderungen gewaltfrei durchzusetzen. Weil jedoch bisher eine landesweite Diskussion darüber nicht stattgefunden hat, können wir uns dem Aufruf nicht anschließen“, erklärte der Sprecher des gemeinsamen Ausschusses, Michael Göbel. Nach 40 Jahren Erfahrung ist jegliche Form von Berliner Zentralismus verdächtig. Nur gut, daß am Samstag abend per Telefon gemeldet wurde, der Streikaufruf sei ausgesetzt. Begründung: der Aufruf sei von einem einzigen Mitglied der Bezirksleitung verbreitet worden.

Ein neues Statut soll dem Neuen Forum jetzt eine Struktur verschaffen. „Unser größtes Problem ist die Frage, ob wir Bürgerinitiative bleiben oder Partei werden sollen. Die Tendenz geht auf eine Vereinbarung von beidem hin“, meinte Forumsmitgründer Christian Tietze von der Akademie der Wissenschaften. Interessantes Detail: Je stärker ein Bezirk vom Informationsfluß isoliert ist, wie etwa Thüringen, desto stärker ist die Tendenz zur Parteibildung. Konsens besteht nur in einem: „Wir wollen politische Verantwortung übernehmen und in ein zukünftiges Parlament einziehen“, so ein Sprecher nach dem Treffen. Die Statutenentwürfe sehen die Einrichtung von drei Entscheidungsebenen vor: einem „Republikforum“, 15 „Bezirksforen“ und pro Kreis ein „Regionalforum“. Am 6.Januar soll in Leipzig über das Statut entschieden werden. Ob dann lokale Ausreißversuche wie in Karl-Marx-Stadt verhindert werden können? „Die Weisungsbefugnis des Republikforums auf die Bezirke ist nicht festgelegt. Wir sehen das oberste Gremium als Träger von Ideen, die aus der Basis kommen“, so Tietze.

Die Gründungsversammlung der parteilichen Bewegung/beweglichen Partei Neues Forum soll am 27. Januar in Berlin zusammentreten und über das Programm entscheiden. Bis zum 27.Januar wird ein 15köpfiger gemeinsamer Ausschuß die Geschäfte des Neuen Forums regeln. Seit am Samstag drei Büroräume in der Mollstraße besetzt worden sind - der Berliner Oberbürgermeister zeigte keinen übergroßen Eifer in Sachen Raumvergabe -, wird der Ausschuß auch ein Dach über dem Kopf haben.

Ein Volk - ein Papier

Über dieses Procedere herrschte am Samstag noch weitgehend Einigkeit. Anders bei der heikelsten Frage, der deutschen: „Die Positionen sind zu verschieden. Wir sind nicht aussagefähig“, resümiert Sprecher Göbel in ungewollter Doppelsinnigkeit. In den Betrieben etwa scheint sich mit der Ablehnung der Wiedervereinigung mittlerweile kein Blumentopf mehr gewinnen zu lassen. Der Delegierte aus Rostock berichtete, daß bei den örtlichen Donnerstagsdemos bereits Kohls „Wir sind ein Volk“ skandiert würde: „Trotz aller Erklärungen werden die Voraussetzungen für einen dritten Weg immer geringer. Wir schlittern auf den Westen zu“, sagte der Mann von der Waterkant.

Die SDP ist inzwischen auf den populistischen Zug aufgesprungen, und in Mecklenburg ist eine „Freie deutsche Union“ aufgetaucht, die - unterstützt von der Bonner CDU -Zentrale - die Wiedervereinigung zur Hauptforderung erhoben hat. Dennoch war es nur eine Minderheit, die bei dem samstäglichen Treffen für eine offensive Debatte um die großdeutsche Frage plädierte, um dieses Feld „nicht der Rechten zu überlassen“. Der neoforensische Kompromiß: eine Delegierte wurde beauftragt, ein Papier auszuarbeiten...