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Hunde im Biotop

 ■ E R E G N I S D D R

Die Absetzbewegung von der SED macht auch vor den Blockparteien nicht halt. Am Dienstag kündigten die Liberal -Demokratische Partei und die Ost-CDU mit sofortiger Wirkung ihre Mitarbeit im Nationalen Block. Die Absetzbewegung von DDR-BürgerInnen in die BRD schlägt sich unterdessen in den Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg negativ nieder. Im Monat November stieg die Zahl der registrierten Beschäftigungslosen um 76.000 auf 1.949.680 an. Knapp 120.000 Übersiedler aus der DDR sind derzeit arbeitslos, dazu kommt noch einmal die gleiche Zahl an Aussiedlern aus anderen osteuropäischen Ländern.

Ein neuer Vorschlag zur künftigen Gestaltung des Grenzstreifens kam von Bayerns Innenminister Spitzner: Aus dem ehemaligen Todesstreifen soll ein Biotop werden. Sorgen um die Hunde der DDR-Grenzer macht sich unterdessen der Deutsche Tierschutzbund in Bonn. Um den Vierbeiner ein „ungewisses Schicksal“ zu ersparen, will der Bund den Tieren notfalls eine neue Heimat im Westen bieten und sich an der Pflege und Vermittlung der Hunde „ideel und finanziell“ beteiligen - eine mögliche erste Etappe auf dem Weg zur Erfüllung der Forderung „Chappi für alle deutschen Schäferhunde“, die das Westberliner „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ erhob.

Umweltschützer im DDR-Schriftstellerverband haben sich für den Rücktritt von Umweltminister Reichelt (Bauernpartei) ausgesprochen. Dieser habe die Geheimhaltung ökologischer Daten grundsätzlich als „staatliche Hoheitsaufgabe“ gerechtfertigt. Der Staatssekretär im Bonner Umweltministerium Grüner (FDP) wies darauf hin, daß Trabis und Wartburgs durchweg auch bleifreies Benzin vertragen.

In einer „Erklärung zur Deutschen Frage“ hat der Verband der Jüdischen Gemeinden betont, daß angesichts der Schoah der Mitwirkung des jüdischen Volkes an einer friedensvertraglichen Regelung für Deutschland eine hervorragende Bedeutung zukomme. Angesichts der Vergangenheit könnten die Deutschen nicht frei über ihre Zukunft entscheiden. Eine künftige Regelung sei der Zustimmung der Siegermächte vorbehalten. Der SPD -Ehrenvorsitzende Brandt schlug die Bildung eines deutschen Bundes vor. Dies sei auch beim Fortbestehen von Nato und Warscher Pakt möglich.

Der Kohlsche Zehn-Punkte-Plan hat das Neue Forum zu einer Gegendarstellung veranlaßt. Der Sprecherrat wies die Aufforderung aus eigenen Reihen nach einer Volksabstimmung über dieses Thema zurück. Die Initiatoren dieses Vorschlags seien dem Neuen Forum nicht bekannt. Kanzleramtsminister Seiters traf gestern in Ost-Berlin mit Regierungschef Modrow zusammen, um die Vorbereitungen zur Kohl-Visite fortzusetzen.

Eine Flut weiterer Statements zur DDR kam gestern wieder aus westdeutschen Landen. BDI-Präsident Necker meinte, die DDR habe Chancen, auf manchen Gebieten das modernere Deutschland zu werden, z.B., wenn sie ein Mobil-Telefonnetz aufbaue. SPD-Chef Vogel erklärte, seine Partei respektiere die selbstbestimmte Entscheidung der DDR-Bürger, und drang auf rasche Hilfen angesichts der „riesigen Kohlehalden“ im Westen. Und der Deutsche Katholikentag teilte mit, im kommenden Sommer solle in Berlin ein Treffen für ganz Deutschland stattfinden.

b.s.

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