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ANGST VORM ALTER

■ Jahresausstellung der Gedok-Berlin im Haus am Lützowplatz

Jahresausstellungen von Kunstvereinen sind oft zu behäbigen Vehikeln geworden, Fossilien der Kunstgeschichte aus einer Zeit, in der die Salons und Akademien noch übermächtig und die Zahl der privaten Galerien noch klein war. Inzwischen drohen die Vereine mit ihrem kunstsoziologisch zwar aufschlußreichen, doch meist etwas angestaubten Gemischtwarenangeboten in der Konkurrenz der ausstellenden Institutionen zu verschwinden. Die Gedok, Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfreunde e.V., bezog und bezieht ihre Legitimation zwar noch immer sowohl aus der mangelnden Präsenz der Künstlerinnen in Museen, Lehre und Kunsthandel als auch aus den biografisch bedingten Problemen fast jeder Künstlerinnenkarriere. Doch ob die öffentliche Vermittlung der Kunst von Frauen mit dem anachronistischen Mittel einer Jahresausstellung verwirklicht werden kann, bleibt zweifelhaft.

Der Ambivalenz eines Schutzraumes für Frauen, der schnell zur harmonisierenden Spielwiese werden kann, und der drohenden Beliebigkeit jeder Querschnittsausstellung waren sich die drei Jurorinnen Brigitte Hammer, Elfi Kreis und Sabine Lietz bewußt, die aus 138 eingesandten Arbeiten der Gedok Berlin 38 auswählten. Sie versuchten die Gedok, die in den letzten Jahren verstärkt um jüngere Mitglieder warb, als einen Ort der aktuellen Kunst zu vermitteln.

Doch die Angst vor dem Sitzenbleiben auf nicht mehr gefragten Traditionen zeitigt auch aufgesetzte Jugendlichkeit. Immer mit der Zeit gehen, modern bleiben diese Forderung eines die Jugendlichkeit vergötternden Zeitalters führt teilweise zu schizophrenen Anbiederungen. Ingeborg Leuthold, 1925 geboren, deren Biografie den für eine Malerin ihrer Generation typischen Umweg über das Kunsthandwerk aufweist, zeigt „City Indians“, ein fotorealistisches Porträt dreier Punks mit Totenkopfohrringen und Hundehalsband. Ihre provozierenden Posen bewahren das Bild nicht davor, kunstgewerblicher Kitsch zu sein: der stachelige Punk wird zu einer modischen Version der röhrenden Hirsche. Der vermeintliche Gegenwartsbezug bleibt bloßes Zitat.

Die Objektkünstlerin Susanne Ahner, 1960 geboren, gehört zu den jüngsten Mitgliedern der Gedok. Ihr „Kleines rotes Meer“, von der Jury prämiert, entbehrt nicht der Ironie: übereinandergestapelte Pappmappen, Pappschachteln und gewellte rosa Schaumgummiplatten bilden einen Turm, der in reduzierter Form Schichten des Meeresbodens und Wasserwellen assoziieren läßt und zugleich eine häusliche Aufräumaktion als künstlerischen Prozeß dokumentiert. Wegräumen, Materialien im Atelier sortieren und fertige Arbeiten wegpacken wird normalerweise nicht unbedingt als Kreativitätsschub gewertet, sondern eher unter den banalen Tätigkeiten des Alltags, infamerweise insbesondere des Hausfrauenalltags, abgehakt. In der Aufhebung dieser Trennung liegt der Witz des unprätentiösen Materialstapels Susanne Ahners.

Die zweite prämierte Arbeit stammt von Margot Trierweiler, die, 1930 geboren, die ältere Generation der Gedok vertritt. Auch ihre künstlerische Biografie beginnt mit Kunstgewerbe und textilem Gestalten, wird durch Ehe und Kinder unterbrochen. Ihre Arbeit „Schrecken des Krieges“ entsteht aus Sackleinwand, ist Bild und Objekt zugleich. Im groben Gewebe alter Säcke, die der Heeresverpflegung im Zweiten Weltkrieg dienten, zeugen Löcher und Brandspuren von Alter, Zerstörung, Gewalt. Durch Übermalungen mit roter und schwarzer Farbe zeichnen sich Hakenkreuze und Reichsadler ab. Es entsteht die Vorstellung einer trotz aller Überdeckungen noch immer schmerzenden Geschichte. Trierweilers „Schrecken des Krieges“ verklammert in Thematik und Material Vergangenheit und Gegenwart und ist damit programmatisch für die beschworenen Möglichkeiten der Gedok, ihr Alter und ihre Erfahrungen produktiv zu nutzen. Mit den beiden Prämierungen von Trierweiler und Ahner empfiehlt die Jury alltägliche Materialien und reduzierte Eingriffe als geriatrische Therapie.

Katrin Bettina Müller

„Standpunkte“ Jahresausstellung der Gedok, Haus am Lützowplatz, bis 29. Dezember.

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