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DRAMA DES BRAVEN KINDES

■ Das komische Psycholehrstück „Mensch Hermann“

Es begann in grauer Vorzeit, im dunklen Urknall der Kultur, üblicherweise erst retrospektiv erhellt von Mythen über Götter, die Welt und wie die Menschen darauf kamen. Was jene Mythen hinterließen, Phantasmen der Macht, gut und böse, oben und und unten, das Patriarchat natürlich mit den Vätern an den Stirnseiten des Küchentisches, Herrscher über die Psyche der Söhne, bis die selber Brut erzeugen und als erste den Löffel in die Suppenterrine schlagen dürfen. Man sieht: eine lange, nach hinten doch irgendwie unendliche Story, psychohistorisch aufgespannt, bis aus diesen Purzelbäumen der Geschichte Hermann auf die Bühne tritt. Hermann ist die aktuelle Version des braven Kindes, die säkularisierte Fassung unseres großen Vorbildes, dem Jesulein, das auf sich nahm alle Sünden, anstatt mit Maria Magdalena ins Bett zu steigen und fröhlich Nachkommenschaft zu zeugen. (Das erstere hat er vielleicht doch getan, und für das zweitere war er zu schlau?! d.säzzer) Um soviel und nicht weniger geht es in Mensch Hermann; wer nicht weiter weiß, schlägt bei Alice Miller nach.

Am Anfang sitzt Hermann noch mitten unter uns, dem Publikum. Der da ist es, eine Reihe vor mir, links versetzt. Ein gelbes Tüchlein weht ihm um den Hals, das Hemd ist kariert, und die Hose macht knapp vor den Rippen halt. Mager ist er, unter den Wangenknochen wirkt es hohl, die Brille ist groß und beherrscht das Gesicht, das Haar ordentlich halblang, aber frisch geföhnt.

Noch ahnt man nicht, daß dieser Mensch der Psycho-Star des Abends werden wird. Noch ist das Saallicht angeknipst, da kommen zwei massige, hausmeisterähnliche Typen durch den Mittelgang, auf der Suche nach Hermann. Kaum ist dieser ergriffen, wird er auf die Bühne gezerrt, und die Herren verkünden: „Heute geht es um Ihre Biographie, Hermann Wendolin Friedlich“ - Licht aus, Spot an, und er steht in den kurzen Hosen seiner Kindheit unter der Knute des Lehrers, Hänschen Klein im Hals, Schlagstock über die Finger, Nachrichten aus der verdrängten Lebensgeschichte.

So geht es denn auch fort, wie es kommen muß, wenn Psychologie nicht vermittelt, sondern pur per Theater verabreicht wird. Die Hermannseele wird seziert, das Besteck liefert Suhrkamp. Das Objekt der Sezierung liegt, sitzt und steht nackt bis auf die Unterhose vor dem Publikum - ein Verfahren, das stark an Therapiegruppen erinnert, die um die Hauptperson des Abends einen Kreis bilden und ihn dann nach Herzensabgrundlust fertig machen, bis das falsche Ich gebrochen ist und auf den Trümmern neue Städte erbaut werden können. Das prasselt auf Hermann nur so herab: brav ist er und sonst nichts, friedliebend aus Trägheit und friedensbewegt bis kurz vor die Unterschriftenliste, ein Mama-Sohn, bis heute vom Nazi-Papa programmiert. Durch diese Anwürfe muß er hindurch, denn die Krise schüttelt sein Leben, und der Weg zum Licht ist dornig.

Damit aber nicht genug. Was nutzt die gelungenste Theateranalyse, wenn sie nur die Überführung des individuellen ins allgemeine Elend ist. Daher wird die Geschichte auf die Couch gepackt, der Bühnenhorizont öffnet sich zur kosmischen Katastrophe und knackt das Urgeheimnis. Obwohl die Geschichte komödiantisch unterlegt ist, wird sie nie ironisch gebrochen, bleibt zusammengezimmerte Inhaltsschwere, produziert Merksätze, die über der Bühne schweben zum Mit-nach-Hause-nehmen. Daß dies angestrengte Wollen zeitweise doch aufgehoben wird, liegt an den Schauspielern, vor allem an Norbert Kestrup und Martin Lüttke. Trotzdem beide breite und schwere Menschen sind, sind sie doch behende, leichtfüßig und verwandlungsfähig, können ebenso plumpe Polterer spielen wie tänzelnde Engel, bringen Leben in den verqueren Wust aus Psychoanalyse, Geschichte und Neuschreibung von Mythen, retten mit ihrer schauspielerischen Präsenz selbst diesen Theatertext, der sonst nur um die Erklärungsmuster seelischer Schräglagen Slalom fahren würde.

Höttges

„Mensch Hermann“, eine Produktion vom Theater Rote Grütze / Theaterhaus Stuttgart / Theaterhof Priesental / Bremer Shakespeare Company, bis zum 19. Dezember jeweils Samstag bis Dienstag in der Ölbergkirche, Paul-Lincke-Ufer, Tel.: 618 36 27.

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