„Ich brauch‘ keine Liebelei...“

Frauen bei der Bundeswehr  ■  Von Karl Hermann

Das Panorama auf dem Truppenübungsplatz Traunstein erinnert an einen Werbespot: Majestätische Berggipfel, die sich bis zum Horizont erstrecken. Saftige Wiesen, auf denen jene anerkannt „glücklichen Kühe“ weiden. Und über alldem: der weiß-blaue Himmel Bayerns. „Kaiserwetter“, stellt Oberfeldarzt Wolfgang Weinert trocken fest.

Susanne Pfitzner hat an diesem Tag wenig Sinn für die Schönheiten der Natur. Mit verzerrtem Gesicht hält sie das „G-3“ fest umklammert, während sie im Unterholz in Deckung liegt. Der Zopf baumelt ihr vor der Nase. Die Tarnfarbe hat sich mit Schweiß vermischt. „Aufschließen“, kommt das Kommando vom Feldwebel - und: „Marsch, marsch, über die Wiese!“ Dann hechelt Susanne zum nächsten Gehölz. Die Kühe nehmen es gelassen: Frauen an der Waffe - die zarteste Versuchung, seit es die Bundeswehr gibt.

Der Feldwebel ist heute in seinem Element. Breitbeinig steht er auf der Manöverwiese und inspiziert den Aufmarsch der Amazonen. Sein kritisches Auge fällt auf ein rosarotes Schleifchen, das arglos unter einem Stahlhelm hervorlugt. Auf der Stelle ist es mit der Contenance vorbei: „Glaubt ja nicht, daß für euch irgendwelche Extrawürste gebraten werden“, schnauzt er die Mädchen an und hält danach ein Kurzreferat über vorschriftsmäßige Soldatenkleidung.

Der arme Mann hat es nicht leicht. Ein paar Monate noch, dann werden aus den Rekruten lauter ranghöhere Leutnants geworden sein. Von einer Frau Befehle entgegennehmen zu müssen, das übersteigt das Vorstellungsvermögen eines langgedienten Berufssoldaten. Würde man ihn heute nach seiner Meinung fragen, wäre er der Ansicht, daß Frauen hintern Herd gehören und nicht hinter das ehrfurchtgebietende G-3 - aber keiner fragt ihn.

Erstmals in der Geschichte der Bundeswehr dürfen auch Frauen am prickelnden Gefühl teilhaben, das kalter Stahl auf der Haut hinterläßt - als Sanitätsoffiziersanwärterinnen. Kürzel: SanOA (w). 50 Frauen sind im Juni dieses Jahres zusammen mit ihren männlichen Kameraden in bundesdeutsche Kasernen eingezogen - kaum eine von ihnen älter als zwanzig und alle bis in die Haarspitzen hinein getränkt mit Ehrgeiz.

Auch „Extrawürste“ gibt es seitdem reichlich: Eigene Toiletten und Duschen wurden installiert, neue Uniformen geschneidert, der berüchtigte „Haarerlaß“ gekippt. Selbst die Spind-Ordnung mußte geändert werden. Seitdem heißt es kurz und knapp: „Die Bürstenhalter haben ihren Platz unter den Handschuhen, wobei das rechte Körbchen im linken lagert.“ Für die Pubertäts-Postillen 'Bravo‘, 'Pop-Rock‘ und 'Mädchen‘ steht inzwischen fest, „Frauenemanzipation hin, Friedensbewegung her: Der neue Traumberuf lautet 'Soldat‘.“

Schon als kleines Mädchen wollte Susanne „viel lieber mit Panzern als mit Puppen spielen“. Dann besuchte sie ihren Bruder, der als Leutnant in einer Hamburger Bundeswehrhochschule studierte. Es war an Sylvester. Unter Signalraketen und Tarnnetzen wurde bis in den frühen Morgen gefeiert. Von da an wußte Susanne, daß ihr Platz beim „Ferdinand-Sauerbruch-Gedächtnis-Bataillon“ war, wie der Dienst bei den allseits belächelten „Sanis“ umschrieben wird.

956 Frauen kreuzten schließlich als Berufswunsch „Zeit -Soldat“ an. Verpflichtungsdauer: 16 (!) Jahre. Doch nur eine begrenzte Zahl an Plätzen stand zur Verfügung bei Heer, Marine, Luftwaffe. Was dann im Juni dieses Jahres nach einer ganzen Reihe von Prüfungen - Intelligenz-, Persönlichkeits und Sporttests - in den Nato-olivgrünen Kampfdress schlüpfen durfte, war fast schon eine Art weibliche Elite-Truppe, 50 sportlich durchtrainierte Frauen, allesamt Abiturientinnen. Zensurenschnitt: 2,0 und besser. „Natürlich hätte ich auch im zivilen Leben Medizin studieren können“, gibt Anette Wienkoop zu. „Doch mich reizte vor allem die sportliche Herausforderung, das Gefühl, beim Militärdienst an meine körperlichen Grenzen zu gelangen.“ Fitnessfieber und ein Hauch von Abenteuer bei einem Gehalt der Besoldungsgruppe A -9 plus Pensionsanspruch gelten als Hauptmotiv für die Berufswahl. „Einmal zeigen, daß man auch als Frau seinen Mann stehen kann“, das ist schon der Gipfel einer kritischen Rollenreflexion. Nein, politisch sind sie nicht, die neuen Bundeswehrfrauen.

Der so gepriesene „Vorstoß“ in Sachen Gleichberechtigung (Rupert Scholz) ist dann im Prinzip auch ein alter Hut. Schon während des Zweiten Weltkriegs mußten Frauen als Lückenbüßerinnen in der Wehrmacht Dienst tun. „Mit frohem Mut und leichtem Sinn - Flakwaffenhelferin“ lautete damals die Parole. Wenige Jahre zuvor hatte Hitler noch den Kreißsaal als das „ureigenste Schlachtfeld der Frau“ gepriesen.

Die Reaktion der Männer auf den Einsatz der Frauen war bezeichnend: Als „Offiziersmatratzen“ oder „Blitzhuren“ wurden die Stabshelferinnen bezeichnet. Dabei hatten auch sie ihren „Blutzoll“ geleistet. Im Sommer 1943 griffen alliierte Bombergeschwader das V-1-Versuchsgelände in Peenemünde an. Über 100 Frauen kamen hier durch Bombensplitter und Bordwaffen ums Leben. Das Bild der am Strand liegenden Frauenleichen prägte sich manchen Bewohnern Peenemündes bis heute ein.

Auch auf sowjetischer Seite wurden Frauen als Kanonenfutter verheizt. Ein von Stalin in aller Eile aufgestelltes Frauenbataillon wurde 1942 im Kaukasus buchstäblich bis auf die letzte Frau aufgerieben. Und wer als Sowjet-Kommissarin der Waffen-SS in die Hände fiel, hatte ohnehin mit der sofortigen Erschießung zu rechnen. Deutschen Frauen erging es da umgekehrt kaum besser: In sowjetischer Kriegsgefangenschaft wurden sie oft schlechter behandelt als die Männer. Begründung: Als Nichtkombattanten hätten sie keinen Anspruch auf Schutz durch die Genfer Konvention. In den Bergwerken des Donez-Beckens oder im Frauenlager bei Nusa starben die ehemaligen Stabshelferinnen noch nach Kriegsende zu Hunderten.

Nicht umsonst hatte man daher auch in der Bundesrepublik bei der Neufassung des Artikels 12 des Grundgesetzes am 6.3.1956 den Schutz der Frauen vor Augen, als man hinzusetzte: „Sie dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten.“ Doch es vergingen keine 20 Jahre, da war schon wieder von der „Lücke“ die Rede. Junge Mediziner gingen lieber in zivile Krankenhäuser oder Privatpraxen, als sich auf schlecht dotierten Stabspositionen herumzudrücken. Frauen, wie die Referentin für Arbeitsmedizin, Antje Hinzmann, durften daraufhin bei der Bundeswehr bis zur Oberfeldärztin aufsteigen. Und als dann zu Beginn der achtziger Jahre der „Pillenknick“ ein Loch in die Sollstärke der Bundeswehr zu reißen drohte, wurde auch ganz offen über eine Verfassungsänderung diskutiert.

Selbst unter Feministinnen wie Alice Schwarzer gab es Befürworterinnen. Hier hatte Simone de Beauvoir Pate gestanden: „Der schlimmste Fluch, der auf der Frau lastet, ist, daß sie von den kriegerischen Unternehmungen ausgeschlossen ist.“ (Das andere Geschlecht, 1949). Doch das bleibt sie in der Bundesrepublik auch nach der Entscheidung des ehemaligen Verteidigungsministers Rupert Scholz. Als Sanitäterinnen werden Frauen nun zwar auch an der Waffe ausgebildet, dürfen sie jedoch im Ernstfall nur zur Selbstverteidigung benutzen. Der berüchtigte „Rote Knopf“ die heute zeitgemäße Form des Tötens - bleibt auch in Zukunft den Männern vorbehalten. Dabei sind „Frauen in Uniform“ schutzloser denn je. Längst ist im Zeitalter neuer Waffen der Abstand zwischen Front und Etappe auf Null zusammengeschmolzen.

Doch darüber wird bei den Bundeswehrfrauen nicht einmal am Rande diskutiert. Was hier am fünften Tag der Geländeübungen für Aufregung sorgt, ist der gefürchtete „O-Marsch“ - das „O“ steht für Orientierung, der Rest, wie man erfährt, für Blasen, Wadenkrämpfe, Kreislaufzusammenbrüche und Fußverrenkungen. Pünktlich um 8.00 Uhr ist Treffpunkt der Gruppe „Fünf“ am „Husarenkreuz“. „Durchzählen“, kommt das Kommando von Anja. Dann läßt sie die Gruppe abmarschieren: „In Schützenreihe, immer zwei Meter Abstand zum Vordermann.“ Zwölf Koordinatenpunkte müssen angelaufen werden, ohne fremde Hilfe nur mit Karte und Kompaß. Die Entfernung beträgt 20 Kilometer - Luftlinie. Wer sich verfranzt, kann leicht mit dem Doppelten rechnen. Dazu zerrt das Marschgepäck: Rucksack, ABC-Tasche, das „G-3“ und der Stahlhelm. Der Siegergruppe winkt ein Tag Sonderurlaub. Doch den Ehrgeiz haben die wenigsten. „Heil durchkommen“ lautet die Devise, möglichst ohne Blessuren. Die zwanzigjährige Anja Hartmann genießt auch unter den Jungs unumschränkte Autorität. Als Gruppenführerin trägt sie an diesem Tag die Verantwortung. Sie bestimmt das Tempo und die Route, nimmt an den einzelnen Stationen die Marschbefehle entgegen: Ein Verwundeter muß auf einer provisorischen Trage geborgen, ein ABC-Alarm befolgt werden: „Schutzmaske auf das Gesicht, Poncho überziehen“, befiehlt sie. Da steht die Sonne schon hoch im Zenith. Aus dem „Kaiserwetter“ ist längst ein miserabler „Hundstag“ geworden. Nur einmal patzt Anja - als bei Kilometer 18 „Feindberührung“ gemeldet wird. Mit einmal kracht es aus allen Rohren. Manövermunition zerplatzt in weißen Wölkchen. Anja läßt die Gruppe gefechtsmäßig in Deckung gehen. Dann erwidert sie das Feuer. Falsch, wie man ihr später mitteilt: Sanitäter dürfen nur im Ausnahmefall zur Waffe greifen. Als Anja vom Punkteabzug erfährt, möchte sie fast heulen vor Wut. „Dann können wir uns das Rote Kreuz ja gleich als Zielscheibe auf den Stahlhelm malen“, ist ihre Reaktion. Doch weder Anja noch die anderen Mädchen wollen an diesem Tag als „Flintenweiber“ gelten. Wo die Männer auf Muskeln setzen, verlassen sie sich auf mentale Konstitution. Als in Anjas Gruppe die ersten Jungs schlapp machen, Peter, der Zahntechniker aus Hamburg, sogar bereut, sich überhaupt zum Wehrdienst gemeldet zu haben, greift sie zu den „Waffen der Frau“: ein betont femininer Augenaufschlag, eine Kußbewegung mit den Lippen. Als buchstäblich gar nichts mehr läuft, stimmt sie spöttisch Soldatenlieder an - den Soundtrack etwa aus „Full-Metal-Jacket“ in einer neu -deutschen Bundeswehr-Fassung: „Ich brauch‘ keine Liebelei, denn ich hab ja mein G-3“.

Zweimal wird sich die Gruppe „Fünf“ unter Anjas Führung noch an diesem Tag verlaufen. Einmal geht es dabei tief in das bayerische Hochmoor. Am Ende nach über zehn Stunden kommen sie wieder am „Husarenkreuz“ an: vorschriftsmäßig in Schützenreihe, zwei Meter Abstand zum Vordermann. Frage an Anja, ob sie nicht schon alles bereut hat. Antwort: „Nein.“