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EIN SAUBERER HALBKREIS

■ Die Vektorentheorie oder: Warum man sich Jim Jarmuschs Filme doch ansehen kann

In Permanent Vacation fuhr der Hauptdarsteller mit dem Schiff nach N.Y., wo zum Leidwesen der Zuschauer die meisten Jungregisseure ihren ersten Film spielen lassen, in Stranger Than Paradise fuhr eine Cousine von Ungarn zu ihrem Vetter nach - na? - N.Y., und in Down By Law fuhr ganz einfach die Kamera die Häuserfassade von - nein! - New Orleans ab, zur Musik von Tom Waits, was so schön war, daß ich mir den Film gleich zweimal angesehen habe. Und in Mystery Train, dem neuesten Jarmusch-Film, fährt ein junges japanisches Pärchen mit dem Zug nach Memphis, um auf den Spuren von Carl Perkins, Elvis Presley und wie sie alle heißen zu wandeln.

Auf dem Weg nach Graceland kommen sie zufällig an den Sun -Studios vorbei und treffen dort auf eine fette, typisch amerikanische Familie, alle offensichtlich bis Oberkante Unterlippe voller Hamburger und Popcorn, das Zuschauerlachen ist gesichert. Anschließend wandern sie ziellos durch die tote Stadt, von der man meist nur den Ausschnitt zwischen Bürgersteig und Fenster des Erdgeschosses sieht, Fensterläden dicht, alles trostlos, aber hübsche Pastellfarben auch der verrottete, typisch amerikanische Blechmülleimer sieht eher so aus wie sein hierzulande als „Oscar“ zu erwerbender greller, sauberer Plastikbruder.

Den ganzen Tag geht das so, mal trotten sie von links nach rechts, mal von rechts nach links über die Leinwand. Abends gucken sie noch ein bißchen in den Mond, er mit dem kantig -markanten Gesicht des 18jährigen, der schon viel Elend gesehen hat und die Welt kennt, sie mit großen Augen, weltoffen und erwartungsvoll, wie die jungen Leute eben noch so sind. Und wie das bei Jim Jarmuschs Filmen eben so ist, kommen sie bei ihrer inzwischen nächtlichen Wanderung zufällig an einem Hotel vorbei, wo sie sich - nun doch müde

-flugs einquartieren. Hinter der Rezeption residiert in einem blutroten Anzug Screaming Jay Hawkins, eine wahre Augenweide, und strömt dieselbe dumpfe Gelassenheit aus wie die große Metallfliege vor ihm auf dem Tisch, die der Page, der einzig weitere Angestellte des Hotels, dauernd zu erledigen versucht.

Das Schöne an diesem Film und der einzige Grund, warum man sich Jim Jarmuschs Filme überhaupt ansehen kann, ist die Vektorentheorie. Bei Permanent Vacation beschreibt der Hauptdarsteller einen sauberen Halbkreis, er trifft in N.Y. ein, tangiert - ping, ping, ping - ein paar Leute und Ereignisse und verläßt die Stadt wieder. Down By Law gibt sich ebenfalls eher klassisch, drei Pfeile kommen von irgendwo her, bündeln sich, einer gibt es auf und wird zum Punkt, die beiden trennen sich mit dem üblichen Schlußbild, der eine geht links, der andere rechts von dannen. Stranger Than Paradise ist da schon um einiges raffinierter. Die bereits erwähnte Cousine aus Ungarn trifft auf zwei parallel ruhende Freunde, sie legen gemeinsam ein Stück Weg nach Florida zurück, um am Schluß völlig sinnlos und wirr auseinanderzudriften: Der eine sitzt im Flugzeug nach Ungarn, wo er nie im Leben hinwollte, sondern eigentlich nur die Cousine an der Abreise hindern, diese befindet sich derweil auf dem Weg zurück in das Hotel, das sie gemeinsam bewohnten, wo allerdings keiner mehr ist, denn der dritte im Bunde wartet vor dem Flughafengebäude auf die beiden anderen, und als schließlich keiner kommt, fährt er seelenruhig nach Hause, nach N.Y. zurück und hat es dabei wohl noch am besten getroffen.

Und auch bei Mystery Train wird man am Schluß dafür belohnt, daß man sich den vierten Aufguß von Herrn Jarmuschs Weltanschauung („Wir sind alle Reisende im Zufall“) angesehen hat. Wenn es einem nämlich dämmert, daß die drei hintereinander erzählten Geschichten alle gleichzeitig passieren, und in der letzten Einstellung die Helden, weil sie ziemlich Dreck am Stecken haben, beim Hören einer Polizeisirene in panischer Angst mit ihrem Auto auf einer Geraden auf den Horizont zujagen, und parallel zur Straße der „Mystery Train“ pfeifend ebenfalls in der unendlichen Ferne verschwindet. Und dann plötzlich das Polizeiauto von links nach rechts die Straße kreuzt, unter der Eisenbahn durch den Tunnel fährt und mit allem mal wieder überhaupt nichts zu tun hat.

khan

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