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Zukunft gestalten, nicht vereinnahmen

Die Grünen raufen sich zu gemeinsamen deutschlandpolitischen Positionen zusammen und werden als Opposition wieder handlungsfähiger / Unaufhaltsame Veränderungsprozesse sollen mitgestaltet werden  ■  Von Gerd Nowakowski

Bonn (taz) - Die Grünen, während der letzten Wochen in der Deutschlandpolitik nahezu gelähmt durch den Streit über das künftige Verhältnis zum anderen Deutschland, werden wieder handlungsfähiger. Wichtigste Veränderung: Die parteioffizielle Forderung nach Zweistaatlichkeit wird in allen Lagern abgeschwächt. Auf die in einem 7-Punkte-Plan der Bundestagsfraktion enthaltene Formel: „Dem Selbstbestimmungsrecht widersprechen die Vorwegnahme der Entscheidung über Zweistaatlichkeit oder Wiedervereinigung“, können sich alle Strömungen ebenso verständigen wie auf die Forderung nach kurzfristiger humanitärer Hilfe und langfristiger Wirtschaftshilfe ohne Vorbedingungen.

Gleiches gilt für den Antrag auf Anerkennung der doppelten Staatsbürgerschaft, dem angesichts massenhaften Gebrauchs der bundesdeutschen Sozialeinrichtungen durch DDR-Pendler besondere Bedeutung zukommt. Die Einsicht wächst, daß der nicht aufhaltbare Prozeß von grüner Seite mitgestaltet werden muß. Zudem haben die Grünen im Schlagschatten der nationalen Koalition zwischen CDU und SPD als einzige Opposition Gewicht gewonnen. „Unverdientes Glück“, kommentierte der hessische Realo Joschka Fischer bissig. Freilich: Wohin die Reise langfristig gehen soll, muß sich im verwirrenden Gemisch aus Gemeinsamkeiten und Trennendem zwischen den Strömungen noch klären.

Linke und Realos sind sich einig, zumindest in Fragen der Wiedervereinigung, die beide Seite ablehnen. Joschka Fischer als Sühne für Auschwitz, die Linken wegen der Rettung der sozialistischen Alternative. Der realodominierte hessische Landesverband hat eine Resolution verabschiedet, in der es in fast identischer Wortwahl wie bei der Parteilinken Jutta Oesterle-Schwerin vor dem Bundestag heißt, mit der Wiedervereinigung sei kein einziges Problem besser zu lösen. Einschränkung: Einer von der DDR-Bevölkerung gewünschten Vereinigung werde man sich nicht widersetzen können. Um die nationalistischen Strömungen in den Griff zu bekommen, müßten die Grünen nun die „Partei der europäischen Einigung“ werden. „Europa beschleunigen, deutsch-deutsch verlangsamen“, formuliert es Realo-Vorsprecher Udo Knapp. Hilfe beim ökologischen Umbau Osteuropas müsse von der EG gemeinsam geleistet werden. Der Nato komme bei der Stabilisierung entscheidende Funktion zu; eine Austrittsforderung sei deshalb völlig falsch.

Die Parteilinke hat ihre strikte Position der Zweistaatlichkeit ebenfalls geräumt. Der Bundestagsabgeordnete Tay Eich anerkennt ebenfalls das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Bürger, etwas anderes zu wollen. Wiedervereinigungsverbot und Zweistaatlichkeit schütze nicht vor einer befürchteten kapitalistischen Kolonisierung der DDR, hat der Hamburger festgestellt: Dies sei wie die Verhinderung einer Neuvereinigung eine politische Aufgabe. Dennoch stellt Tay Eich den Antrag, aus der Präambel des Grundgesetzes das Wiedervereinigungsverbot zu streichen, um damit eine Grundlage für eine fortdauernde Zweistaatlichkeit zu haben. Dieser Antrag hat in der Bundestagsfraktion, obwohl früher zum Standardgut der Partei gehörend, Unmut hervorgerufen. „Politisch blöde“, hat Fraktionssprecher Helmut Lippelt den Antrag genannt, nach dem Berlin auch nicht mehr Teil der Bundesrepublik sein soll.

Können die Realos ihrer Angst vorm deutschen Nationalismus noch mit der EG abhelfen, so haben die Linken diesen Ausweg nicht. Sie, die jene vom Kapital beherrschten Strukturen der EG ablehnen und am Nato-Austritt festhalten, wollen die europäische Einigung über die KSZE-Konferenz vorantreiben. Man geht dabei von einer stärkeren Blockfreiheit der KSZE -Länder aus; eine Hoffnung, der etwas „Ungewisses“ anhaftet, wie auch Tay Eich zugibt.

Der Parteivorständler und Sprecher des „Grünen Aufbruchs“ Ralf Fücks sowie der Fraktionsmitarbeiter Bernd Ulrich werfen Linken und Realos vor, einen „Generalvorbehalt“ gegen das deutsche Volk zu haben. Das „Risiko der Demokratisierung“ aber könne man mit den Deutschen tatsächlich eingehen, versichern sie. Ein zusammenwachsendes Deutschland müsse nicht zu einem „Horrortrip“ werden, wenn der Prozeß langsam genug ablaufe. Sie konstatieren wie die Realos ein endgültiges Scheitern des Sozialismus, wenden sich aber gegen die Realo-Loblieder des Kapitalismus. Das Ende der Systemkonkurrenz sei eine „Befreiung für grüne Politik“, sagen sie mit Verweis auf den Saarbrücker Parteitag, wo man sich über die Chancen des Sozialismus noch zerstritt.

„Aufbruch„-Gründerin Antje Vollmer hat gemeinsam mit Bernd Ulrich ein Modell der „sanften Zweistaatlichkeit“ formuliert, bei dem es weiterhin eine „friedenserhaltende Grenze“ geben soll. Für sie ist eine Konförderation bereits das Ziel und nicht ein „Vehikel zur Einstaatlichkeit“, sagt Bernd Ulrich. Plädiert wird auch für eine Entmilitarisierung und eine „Absetzprozeß aus der Nato“. Gegen die abzulehnende EG setzt Antje Vollmer einen „Föderalismus ohne dominantes Zentrum“ und die Idee eines neuen „mitteleuropäischen Zentrums“ - ein Gedanke, mit dem vor Jahren Otto Schily auftrat. Die Parteilinke, für die ein Nato-Austritt auf die globale Entmilitarisierung zielt, lehnt eine „Separatzone“ (Eich) ab.

Auch der Bundestagsabgeordnete Eckhard Stratmann, der in der Partei neben Alfred Mechtersheimer als einziger eine „Neu-Vereinigung“ bejaht, sieht ermutigende „Teilerfolge“ für seine Position. Einen deutschen Sonderweg lehnt er ab, die nationale Einigung müsse in die internationale Entwicklung eingepaßt sein. Stratmann vertritt, daß auch in einer bundesstaatlichen Ordnung die DDR wegen der unterschiedlichen Entwicklung ein „Vetorecht“ bei der Übernahme von Gesetzen eingeräumt bekommen müsse. Er sperrt sich auch nicht dagegen, eine doppelte Staatsangehörigkeit anzuerkennen, sondern sieht dies als „Ausgangsbasis“ für den deutschen Einigungsprozeß.

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