: Entschädigung für NS-Opfer?
Vor dem Innenausschuß des Bundestags zogen Sachverständige die Schutzbehauptungen der Regierung in Zweifel: Völkerrecht verhindert kein Abkommen mit Polen / Keine rechtliche, sondern politische Entscheidung ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Die Schutzbehauptung der Bundesregierung, aus völkerrechtlichen Gründen sei eine Entschädigung von Zwangsarbeitern nicht möglich, ist auf einer Sachverständigenanhörung des Bundestags erheblich ins Wanken geraten. Um die Forderungen dieser großen Gruppe von bisher nicht entschädigten NS-Opfern abzuwehren, beruft sich die Regierung bisher auf das „Londoner Schuldenabkommen“ von 1953: Darin wird die Prüfung aller Reparationsforderungen gegen Deutschland bis zur endgültigen Regelung im Rahmen eines Friedensvertrags zurückgestellt. Und nach herrschender BRD-Rechtsauffassung gilt Zwangsarbeit nicht als typisches NS-Unrecht, sondern als eine kriegsbedingte Maßnahme, die somit in den Bereich der Reparationen fällt.
Die Anhörung vor dem Innenausschuß am Donnerstag konzentrierte sich darum auf eine - moralisch gesehen widersinnige Frage: Ob nämlich die Bundesregierung überhaupt darf, was SPD und Grüne verlangen - nämlich den überlebenden Zwangsarbeitern durch eine Stiftung eine symbolische materielle Wiedergutmachung von etwa 2000 bis 3000 Mark pro Person zu gewähren. Sechs von acht Sachverständigen bejahten diese Frage, darunter auch zwei von der Koalition benannte Juristen.
Der Saarbrückener Völkerrechtler Professor Ress: „Die Bundesregierung ist nicht gehindert, für diesen Personenkreis eine Regelung ohne Rechtsanspruch zu treffen.“ Hermann Zorn, ehemaliger Richter beim Entschädigungssenat des Bundesgerichtshofs, resümierte: „Es ist letztlich eine politische Frage.“ Die Bundesregierung könne durchaus mit Polen ein Globalabkommen zur Regelung dieser Zahlungen abschließen. In Polen fordern rund 700.000 ehemalige Zwangsarbeiter eine Entschädigung; der polnische Parlamentspräsident Kozakiewicz hatte noch am Vortag der Anhörung bei einem Besuch in Bonn diese Ansprüche bekräftigt: Auf eine „biologische Lösung“, also den Tod der betagten NS-Opfer, zu warten, komme nicht in Frage. Die finanzielle Wiedergutmachung sei eine Grundbedingung für die polnisch-deutsche Versöhnung.
Nach Ansicht zumindest einer Minderheit der Sachverständigen haben die ehemaligen Zwangsarbeiter nicht nur einen moralischen, sondern auch einen rechtlichen Anspruch auf Entschädigung. Der aus zahlreichen NS-Prozessen bekannte frühere Richter Heinz Düx: „Eine konsequente Entschädigung hätte den entgangenen Lohn einbeziehen müssen.“ Eine Anerkennung der Zwangsarbeit als NS-Unrecht kann für die Karlsruher Professorin Dietmut Mayer auch aus dem Umstand abgeleitet werden, „daß die Existenz des Deutschen Reiches von der Zwangsarbeit abhing“.
Wenn die Koalitionsfraktionen jetzt weiterhin eine Entschädigung verweigern wollen, müssen sie das folgende Argument des konservativen Würzburger Juristen Hahn zu Hilfe nehmen: Einer „gesamtdeutschen Regierung“ würde bei den Reparationsverhandlungen geschadet, wenn jetzt, außer der Reihe, die Zwangsarbeiter Geld bekämen.
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